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Saufnix  
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Dieses Thema hat 6 Antworten
und wurde 771 mal aufgerufen
 Deine eigene Alkoholkarriere
patrick der 2te ( gelöscht )
Beiträge:

25.02.2003 16:44
RE: Das Fallen ist keine Kunst aber das Wiederaufstehn Zitat · Antworten

Hallöle!

Jetzt bin ich schon seit ein paar Tagen hier angemeldet, und so herzlich empfangen worden, dass ich mir dachte, es wird Zeit, meine eigene Geschichte aufzuschreiben.

Alkohol habe ich schon während der Schulzeit auf dem Gymnasium viel getrunken. Mein gesamtes Umfeld, auch meine besten Freunde waren dem Trinken ebenso zugetan.

Wir tranken uns schon mit 14 ab und zu einen Vollrausch an, vor allem im Sommer, auf Grillplätzen.
Zu dieser Zeit bestand der Bekanntenkreis aus Leuten, die sich immer wieder in der Stadt trafen, aus ungefähr 40 Leuten. Einige kannten sich besser, manche kannten sich kaum, und immer mal wieder kam ein Neuer dazu, während Andere verschwanden.

Diese wirklich große Truppe begann sich aufzulösen, nachdem einige von uns, darunter auch ich, das Kiffen entdeckten.
Kiffen bringt es bekanntlich eher in einer kleinen Gruppe, weshalb sich nach und nach kleinere Grüppchen bildeten, um den Cannabisrausch zu zelebrieren, jeder auf seine Weise.
Diejenigen, die immer noch "nur" tranken, waren in diesen Kreisen mehr und mehr verpönt, weil einen prollige Biertrinker ganz schön erschrecken können, wenn man gerade bekifft ist.
Außerdem bildete sich der Überzeugungstäter natürlich fort, und entdeckte schnell mehr als genug Artikel und Bücher, in denen die Vorzüge des Kiffens gegenüber dem Alkohol beschrieben wurden.
Einer dieser Überzeugungstäter war ich, und so rührte ich ungefähr zwei Jahre lang keinen Alkohol mehr an, kiffte dafür jeden Tag.

Mit der Zeit aber wurden meine Leistungen in der Schule miserabel, und ich bekam leichte Depressionen, schließlich steckte ich mitten in der Pubertät.
Ich quasselte oft davon, wie langweilig mir das Leben doch vorkommt, und das muß meine Mutter so erschreckt haben, dass sie mir eine Psychotherapie vorschlug.
Ich war einverstanden, mir Hilfe zu holen, und es zeigte sehr schnell Wirkung.
Bald entdeckte ich mein geistiges Potential, wurde, ohne auch nur einmal Hausaufgaben zu machen, einer der besten Schüler in der Klasse.
Auch meine Kumpels schwenkten um. Gekifft wurde nur noch selten, dafür tranken wir wieder mehr. Wir waren jetzt ein wirklich fester Kern von 7 Mann.

Erst im letzten Schuljahr fiel mir manchmal auf, dass ich, wenn ich trank, meistens mehr trank, als mir guttat. Das nervte mich, aber ich dachte mir nichts dabei.

Das Abi holte ich im Schlaf, ohne zu lernen brachte ich es auf einen Schnitt von 1,9. Ich bekam einen Preis des Landes Baden-Württemberg für meine Abschlussklausur in Deutsch, die ich mit 15 Punkten bestand. Ich war damals knapp 20, und fühlte mich wie ein Intellektueller.

Mit zwei meiner besten Freunde machte ich mich dann auf nach Köln, um dort den Zivildienst abzuleisten. Wir hatten die Nase voll von unserer Kleinstadt, wollten was sehen von der Welt.
Ich arbeitete in einer Behinderteneinrichtung, was mir nach anfänglicher Zurückhaltung unglaublich viel Spaß machte, ich vermisse die Behinderten dort auch heute noch.

Insgesamt fingen mit uns noch weitere zehn Zivis dort an, und wir hatten das Glück, genau auf einer Wellenlänge zu liegen: Wir wollten Feiern.
Und gefeiert haben wir über alle Maßen. Ich probierte zum ersten Mal härtere Drogen, und nach ein paar Monaten nahm ich regelmäßig Speed, seltener XTC. Wir taten das alle, und für mich war nichts dabei, weil ich mir sagte, dass ich es nach dem Zivi-Jahr damit bewenden lassen wollte, was ich dann auch tat.

Aber auf Speed merkt man leider nicht, wieviel man getrunken hat. Selbst nach einem Kasten Bier und etlichen Spirituosen ist man geistig und körperlich so fit, dass man locker noch mit dem Eltern telefonieren könnte.

Als im Spätsommer des Jahres 2001 unser Zivildienst zu Ende war, waren wir alle ziemlich bedrückt. Wir wussten zwar, dass es in Bezug auf die Drogengeschichten und das viele Feiern besser war, endlich langsamer zu treten, aber trotzdem war uns klar, dass dies noch lange die wohl beste Zeit unseres Lebens bleiben würde.

Als ich wieder in meiner Kleinstadt ankam, hatte ich noch zwei Monate bis zum Studienbeginn.
Mir ging es gut, und ich wollte kürzer treten. Ich trank in diesen zwei Monaten insgesamt vielleicht eine Flasche Wein, und ging jeden Tag eine Stunde schwimmen.

Ich fühlte mich prächtig. Nur ein Problem gab es da doch: Ich hatte mich in eine Arbeitskollegin verliebt.
Wie es der Zufall wollte, wurde zwei Wochen vor Beginn meines Studiums auf meiner ehemaligen Arbeitsstätte die Besetzung knapp.
Man rief mich an, und ich nutzte die Chance, meine Liebe wiederzusehen.
Leider traf ich in Köln auch alte Bekannte, und nahm ein letztes Mal harte Drogen, trank viel.

Jedenfalls wurde die Sache mit dieser Frau kompliziert. sie hatte noch einen Freund, den sie wegen mir dann verließ. Aber: die Beiden wohnten zusammen, und wer findet in Köln schon schnell eine Wohnung.
Ich pendelte ständig zwischen Tübingen, wo ich eigentlich hätte Literatur studieren sollen, und Köln hin und her, um sie möglichst oft zu sehen. Ich war wirklich schwer verliebt.

Irgendwann in dieser Zeit des Stresses muß mein Körper plötzlich angefangen haben, den Alkohol in seinen Stoffwechsel einzubinden.
Immer öfter wachte ich schweißgebadet auf, hatte Konzentrationsschwierigkeiten, innere Unruhe, Herzklopfen. Immer öfter zitterten meine Hände.
Ich versuchte, diese Zeichen zu verdrängen, weil ich glaubte, sie seien auf die harten Drogen zurückzuführen, die ich zu dieser Zeit aber nicht mehr nahm. Ich bekam Angst, mich kaputtgemacht zu haben, aber verdrängte das so gut es ging.
Alkohol trank ich zu der Zeit nur in Maßen, am Wochenende, aber genau das war der Fehler. Jedesmal machte ich so ohne es zu wissen einen kleinen Entzug durch. Mein Körper hätte eigentlich mehr und regelmäßig Alkohol gebraucht.
Aber das wusste ich ja nicht, schob es auf die Drogen, zumal ich nie einen Drang verspürte, zu trinken, bis zum Schluss nicht, und auch jetzt, da ich trocken bin, kenne ich einen solchen Drang nicht.
Ich denke es liegt daran, dass ich mich so auf die Drogen als Auslöser fixiert habe, dass ich den Alkohol nie als das empfand, was er damals für meinen Körper war: ein Stoff, den er brauchte, um zu funktionieren.

Durch die vielen kleinen körperlichen Entzüge wurde mein Zustand rasch schlechter. Immer weniger war ich in der Lage, konzentriert zu arbeiten, klar zu denken.

Ich wollte jetzt dennoch Jura studieren, und ich wollte nach Köln zurück.
Also bewarb ich mich bei der ZVS, die diesen Studiengang zu dieser Zeit noch deutschlandweit vergab, um einen Studienplatz.
Als einzigen Ortswunsch gab ich Köln an, weil ich mir sicher war, dass ich mit meinem Schnitt dort genommen werde.
Die Realität strafte meine Überheblichkeit lügen, und schickte mich nach Gießen.
Das war ein solcher Schock für mich, dass ich aufgrund meines angeschlagenen Zustandes tagelang (aus heutiger Sicht leichte) Angstzustände bekam.
Ich überlegte mir kurz, mich in Köln auf Lehramt zu studieren, nur um wieder in dieser Stadt zu sein.
Aber ich entschied mich anders, auch weil die Sache mit dieser Frau mehr und mehr in die Brüche ging.
Aus heutiger sicht war ich zu dieser Zeit schon schwer depressiv, mit einigen lichten Momenten.

Kurz nachdem ich in Gießen mein Studium begonnen hatte, wurde mein Zustand kaum noch tragbar.
Von den Vorlesungen behielt ich kein Wort, und ich erinnere mich, dass ich eines morgens bei einem Gespräch mit einer Kommillitonin so sehr gezittert habe, dass der Löffel in meiner Tasse klirrte, als sei eine Scheibe zu Bruch gegangen.

Die Frau in Köln beendete das Ganze zwischen uns, ohne zu merken, in welch miesem Zustand ich war. Auch sie war überrascht, als ich ihr später von meinem Alkoholismus erzählte, denn ich trank wirklich nicht viel.

Ich saß irgendwann fast nur noch in meinem Zimmer in der neuen WG, und kämpfte gegen die Unruhe, das Zittern, die Angst.

Irgendwann ging ich zu einer Hausärztin, erzählte von meinen Beschwerden, beschrieb die körperlichen Symptome.

Sie sprach zum ersten Mal von Alkoholismus.
Ich glaubte nicht daran, erzählte von den Drogen, was sie aber als Auslöser nicht gelten lassen wollte.
Trotzdem war bei einem ersten Bluttest von Alkoholismus nichts zu erkennen, weil ich ja meinen Spiegel seit gut einem 3/4 Jahr niedrig gehalten hatte.

Daraufhin schickte sie mich zu einem Neurologen. Dem erzählte ich nochmal das gleiche.
Auch er war sich in Bezug auf den Alkohol unsicher, weil ich zwar die typischen Symptome, aber nicht die entsprechenden Blutwerte aufwies.
Er ließ also einen zweiten, differenzierteren Bluttest machen, würde das Ergebnis aber erst in zwei Wochen erhalten.
"Wenn es nicht am Alkohol liegt, wäre es ja sicher kein Problem für Sie, in diesen zwei Wochen nichts zu trinken?" fragte er herausfordernd, worauf ich trotzig erwiderte: "Quatsch, das ist kein Problem!"

Seit diesem Tag trinke ich nichts mehr, und dieser Tag ist jetzt 9 Monate her.

Ich bin die zwei Wochen bis zum nächsten Termin durch die absolute Hölle gegangen, weil ich meinen Entzug kalt, und ohne stützende Medikamente gemacht habe.
Trotz der Ängste und dem Herzrasen, die mich beinah verrückt werden ließen, bin ich zur Uni. Weiß Gott warum, ich wollte mir keine Pause gönnen.

Als ich nach zwei Wochen die sichere Diagnose erhielt, schlug mir der Neurologe einen stationären Entzug vor. Ich hatte aber eine Klausur vor mir, die ich unbedingt schreiben wollte. Ich weiß nicht, warum ich damals so stur reagiert habe, denn die Klausur war wirklich nicht sonderlich wichtig.

Dennoch machte ich meinen Entuzg weiterhin selbst alleine in einer fremden Stadt durch, und ich weiß auch nicht, weshalb der Neurologe damals mit meiner Entscheidung einverstanden war. Er verschrieb mir leichte AD´s in niedriger Dosierung, die die Ängste nur zeitweise unterdrücken konnten.

Bis jetzt habe ich mit den Nachwirkungen meines Entzugs zu kämpfen, habe Schwindel, bin ständig angespannt, zucke bei jedem Geräusch zusammen.
Auch die angst kommt immer mal wieder, aber sie wird jedesmal schwächer. Mittlerweile nehme ich keine Medikamente mehr, und das Schlimmste scheint überstanden.

Dennoch weiß ich, dass ich mich damals für eine stationäre Therapie hätte entscheiden sollen, weil einem dort sehr viel professioneller geholfen werden kann, und die Qualen abgeschwächt und verkürzt werden können.

Ich möchte allen davon abraten, sich einem kalten Entzug zu unterziehen. Man leidet unglaublich, und die Leidenszeit verlängert sich ins Unendliche. Wie gesagt ist es bei mir immer noch nicht vorbei. Außerdem leide ich an kleineren zyklisch wiederkehrenden Depressionen, seit ich die Medis abgesetzt habe. Ich hab sie oft unregelmäßig genommen, sowas passiert einem in einer Klinik auch nicht.

Ich bin jetzt 24, und hoffe, irgendwann wieder geistig so fit zu sein, um mein Studium gut abzuschließen.

Ich werde nie wieder auch nur einen Tropfen Alkohol anrühren, denn ich möchte irgendwann mit einer liebevollen Frau (die ich hoffentlich irgendwann kennenlerne) eine Familie gründen, und mit ihr Kinder großziehen.

Ob das klappt, kann ich natürlich nicht wissen. Aber ich weiß, dass, egal was mir im Leben noch passieren wird, Alkohol nie wieder eine Rolle spielen wird.

Ich beglückwünsche alle Trockenen und kann den noch "Nassen" einen Entzug nur empfehlen!

Macht was aus Eurem Leben!

Patrick


Zitrin Offline




Beiträge: 308

25.02.2003 18:01
#2 RE: Das Fallen ist keine Kunst aber das Wiederaufstehn Zitat · Antworten

Lieber Patrick,

Hut ab, ich spüre Hochachtung vor Deiner Kraft und Deiner Klarheit.

Du gibst mir Hoffnung und Glauben an eine bessere Zukunft.

Zitrin


Miezekatz Offline




Beiträge: 731

26.02.2003 08:59
#3 RE: Das Fallen ist keine Kunst aber das Wiederaufstehn Zitat · Antworten

Hallo Patrick,

ich kann mir vorstellen, dass dein junges Nervenkostüm durch Drogen und Alkohol schon in Mitleidenschaft gezogen wurde und dass es noch einige Zeit in Anspruch nehmen kann, bis sich das wieder stabilisiert hat.

Toll finde ich, dass du in deinem Alter schon dahinter gekommen bist. Denn dass du oft gegen den Strom Gleichaltriger schwimmen musst, ist mir klar. Es ist wahrscheinlich ein Weg, der nicht gerade einfach ist.

Du hast erkannt, dass du irgendwie sogar "allergisch" auf Alkohol zu reagieren scheinst. Wenn dir sogar eine alkoholhaltige Creme (ich wusste garnicht, dass es das gibt) eine Art Entzugserscheiung macht.... Dann gilt für dich jeden Tag aufs Neue eine grosse Verantwortung für den Erhalt deiner Gesundheit und deines Wohlbefindens.

Da du dir aber dessen bewusst bist, brauchst du meines Erachtens "nur" ein gutes Stück Geduld und es wird sich (hoffentlich) alles in der Zeit, die es braucht, wieder harmonisieren. Du hast deinem Körper ziemlich viel zugemutet und jetzt schlägt er zurück, indem er nervös überreagiert.

Ich nehme an, dass du in ärztlicher Betreuung bist und ich wünsche dir, dass es dir bald besser geht.

Ich wünsche dir Kraft und guten Mut!


Gast ( gelöscht )
Beiträge:

26.02.2003 09:19
#4 RE: Das Fallen ist keine Kunst aber das Wiederaufstehn Zitat · Antworten

Hallo Patrick,

das ist schon eine starke Geschichte. Ich wünschte, ich hätte in Deinem Alter schon Deine Einsichten gehabt .
Es ist bewundernswert, wie klar Du jetzt schon siehst, und es ist Dir zu wünschen, daß sich Deine Träume erfüllen.

Gestern abend im Bett habe ich nochmal über Deine Geschichte nachgedacht (oh gott - ich wohne ja schon fast im Forum).
Dabei fiel mir ein, daß ich im Internet mal eine Seite gefunden habe, in der es um Alkohol- und Drogen-Entzug ging.
Dort habe ich gelesen, daß manche Drogen (LSD usw.) Restsubstanzen im Körper einlagern. Die werden nicht - wie Alkohol - aus dem Körper herausgeschwemmt, sondern bleiben dort manchmal auf Jahre.
Manchmal lösen sich diese Einlagerungen und gelangen wieder in den Blutkreislauf und verursachen Angst-Attacken bis hin zu Halluzinationen.

Vielleicht sind es ja auch diese Drogen-Reste, die Dir zu schaffen machen.

Aber ich will Dich nicht verrückt machen - sicher bist Du in ärztlicher Behandlung und wurdest schon ausführlich auf mögliche Langzeitschäden informiert.

Ich versuche die Tage mal, diese Seite wiederzufinden und funze Dir dann den link dazu.

Ansonsten kann ich nur sagen: Respekt!

Einen schönen Tag wünscht Dir


ameise Offline




Beiträge: 1.110

26.02.2003 09:20
#5 RE: Das Fallen ist keine Kunst aber das Wiederaufstehn Zitat · Antworten

Sorry, das war ich eben.
Ja ja, die hohe Kunst des Einloggens (winke winke Reiner)!


Miezekatz Offline




Beiträge: 731

26.02.2003 09:49
#6 RE: Das Fallen ist keine Kunst aber das Wiederaufstehn Zitat · Antworten

Zitat von Ameise .... oh Gott, ich wohne ja schon fast im Forum....


Antwort von Miezekatz.... willkommen im Club, Ameise...



Norton ( gelöscht )
Beiträge:

17.03.2003 19:47
#7 RE: Das Fallen ist keine Kunst aber das Wiederaufstehn Zitat · Antworten

eine beeindruckende Schilderung .

Ich wünsche dir von Herzen alles Gute.

Guido


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