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Saufnix  
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Dieses Thema hat 6 Antworten
und wurde 841 mal aufgerufen
 Deine eigene Alkoholkarriere
EXC2 Offline



Beiträge: 2

09.03.2011 18:05
RE: schon ein bisschen weiser Zitat · Antworten

Guten Tag an alle, die an Board sind,

schon vor zwei Tagen habe ich auf einen Beitrag von WHY geantwortet, da mich die Geschichte doch sehr nachdenklich gemacht hat.

Heute möchte ich mich hier vorstellen und einige Dinge sagen, die mir wichtig sind. Auch geht es mir darum, nicht mehr länger von anderen Beiträgen zu profitieren - ich möchte ganz gern einen eigenen Beitrag leisten.

48 Jahre alt, männlich, eine erwachsene Tochter, zu der kein Kontakt mehr besteht (auch alkoholbedingt) und zwei Trennungen (eine davon geht auf das Konto Alkohol).

Erster Kontakt mit Alkohol in der Familie mit ca. 14 Jahren. Alkohol war etwas selbstverständliches. Überall bekam man ihn und überall wurde er getrunken.

Irgendwann fand ich es toll, wenn Erwachsene zum Beispiel aus Ärger oder Freude einen Cognac kippten. Später habe ich mir das auch zur Gewohnheit gemacht: Auch ohne Ärger oder Freude.

Die Lehrzeit verbrachte ich überwiegend in der Kneipe. So sahen dann auch meine Leistungen aus. Ich trank damals durchaus zehn 0,5 Glas Bier.
Und wenn ich am nächsten Tag abends Lust hatte, dann eben wieder. Irgendjemand kam schon immer mit - nur ich, ich war immer dabei.Ich merkte gar nicht, wie sich die anderen mehr oder weniger offen von mir abwendeten. Isolation durch die, die klüger waren.Ich war für einzelne Abende der Freund für die, die Durst hatten.

Ich merkte in dieser Zeit durchaus, dass ich alle Strukturen verlor, keinen Halt fand. Eine Freundin hatte ich auch nicht mehr - ich traute mich ohne Alkohol nicht - und wer wollte schon so einen.Alles drehte sich um Bier und Pfefferminzlikör u.ä.

Während der Armeezeit hoffte ich tatsächlich, ich würde mein Leben wieder besser auf die Reihe bekommen. Denkste: Ich habe dort mehr gesoffen als vorher. Fast alle machten das - aber ich war immer dabei.

Nun kann es ja sein, dass ich zuviel hineininterpretiere, aber ich fand eine Frau, die konnte genauso gut trinken wie ich.
Wahrscheinlich haben wir uns angezogen - richtig: Beim Kennenlernen waren wir später beide voll.
Vierzehn Jahre ging das so. Leute, Leute: Jeden Freitag, Samstag voll, am Sonntag wenig Alkohol. Manchmal auch am Mittwoch, wenn das Wochenende noch soooo lange weg war.

Und das alles vor den Augen unserer kleinen Tochter. Und hier ein für mich wesentlicher Punkt: Es gab nie eine Situation, in der irgendein Mensch mitbekommen hätte, was da ablief. Unser Kind war ordentlich erzogen, wir gingen jeden Tag zur Arbeit. Aber alles Fassade.
Hätte jemand auf unserem Balkon die gestapelten Flaschen gesehen, hätte er wahrscheinlich das Jugendamt benachrichtigt. Aber nach außen funktionierten wir. Ich bin für mich ganz sicher, dass Alkohol das eigene Wesen verändert: Es muss nicht immer zum knallharten Aufschlagen kommen, das Mistzeug wirkt so auf die Psyche, dass ich es gar nicht gemerkt habe. Erst viel später wusste ich, dass man es Depressionen nennt, die sich an solche Saufgelage hin und wieder anschlossen.Urlaub? 14 Tage feiern, jeden Tag - trotzdem natürlich alles getarnt.Immer in Familie.

Wenn ich schreibe, dass Alkohol die psychische Verfassung angreift, meine ich, dass zumindest ich mich so auf das Zeug eingestellt hatte, dass ich mich so organisierte, dass ich möglichst viel davon abbekam - ohne das es auffiel. Alles außerhalb der Arbeit. Bei Geschäftsessen nie Alkohol getrunken u.s.w.Und irgendwelche körperlichen Entzugserscheinungen waren bis auf Zittern der Hände nicht zu erkennen. Damit habe ich mich immer beruhigt.( wie bescheuert muss man sein)?

Ich habe mich irgendwann so vor mir selber geekelt, ich habe mich gehasst - ich wusste nicht weiter und trennte mich von meiner Partnerin.Ich konnte sie nicht mitnehmen...

Es gabe dann zehn Jahre - mal ein bis zwei Bier in der Woche. Ich dachte, nun hast du es hinter dir.

Keine Ahnung woran es lag: Kaum hat mir die Lebenssituation mehr Freiräume geschaffen (neuerliche Trennung) merkte ich, dass die alten Muster noch immer da waren: Mensch, zwei Bier und ein paar Underberg sind doch kein Problem - heute kommt Fußball, das passt gut - morgen musst du erst um 10.00 Uhr los.

Für mich war dann klar: Die Menge an Alkohol spielt zumindest für mich nicht die Rolle - es ist diese Verhaltens- und Wesensänderung, die ich immer wieder dann auslöse, wenn ich Alkohol trinke.Nicht, dass ich aggressiv werden würde - aber schlechte Laune, die Schuld anderen geben, unausgeglichen sein u.s.w. Sehr gern sah ich mich auch in der Rolle Selbstmitleid - kommt immer wieder gut - vor allem, wenn man schon was getrunken hat.

Und weil ich ja schon ein wenig älter bin, möchte ich zumindest meine Meinung an dieser Stelle zusammenfassen, weil ich mir durchaus vorstellen kann,dass meine "Alkohol-Erkenntnisse" ausreichen sollten - man muss diesen langen Weg nicht erst gehen.

Es muss nicht immer einen k.o. geben - man trinkt sich selbst auch über Jahrzehnte ganz langsam weg. Das man dabei anders wird, das erkennt man meist selber nicht. Die, die es dir sagen, sind in der eigenen Wahrnehmung ohnehin alles Idioten.
Nunmehr trinke ich seit sechs Monaten nichts mehr - bin aber gefährdet. Ich muss sehr auf mich achten. Deshalb bleibe ich auch hier im Forum.


Ich habe gemerkt, dass mit jedem erfolglosen Versuch, den Alkohol stehen zu lassen, meine Selbstachtung wieder um ein Stück abgebröckelt ist.

Alles Gute für uns


newlife ( gelöscht )
Beiträge:

09.03.2011 18:30
#2 RE: schon ein bisschen weiser Zitat · Antworten

Super was du da geschrieben hast, ganz ehrlich. Diese Psychokacke war bei mir auch so richtig derbe ausgeprägt. Hat natürlich damit zu tun, dass ich meine Abhängigkeit auf einmal so deutlich sah und nix dagegen machen konnte. Ich erinnere mich noch gut, wie ich mir ein letztes Mal vornahm, mich am WE zu erholen. Die Woche war so daneben, Donnerstag bin ich zusammengebrochen auf der Arbeit infolge eines Panikanfalls. Es war so heftig, dass ich direkt in die Notaufnahme musste. Ich hielt mit Hilfe von Medis den Donnerstag durch und fühlte mich auch den halben Freitag einigermaßen wohl. Gegen abend merkte ich aber den fehlenden Stoff und am Samstag hielt ich es gar nicht mehr aus.
Na ja, mal so ein Bierchen zur Entspannung. Den Rest kannste dir ja denken. Ich lief wie ferngesteuert durch die Gegend und kaufte und soff was das Zeug hält.
Am Sonntag hätte ich am liebsten Schluss gemacht. Es war ein schöner Tag im Oktober 2009 und nur der strahlende Sonnenschein half mir ein wenig. Ich war total zerstört und es dauerte lang, bis ich wieder ein wenig Selbstwertgefühl finden konnte.

Willkommen hier bei uns.

Gruß
Dirk


Elefantino Offline




Beiträge: 4.209

09.03.2011 18:39
#3 RE: schon ein bisschen weiser Zitat · Antworten

Hallo EXC2,

danke für Deine Geschichte!
Und dafür, dass Du nicht nur erzählst, was war, sondern uns auch an Deiner Reflexion des Geschehenen teilhaben lässt.

Die psychischen Veränderungen, die Du als Folge des Alkoholkonsums beschreibst, kommen mir sehr bekannt vor. Ebenso die Einordnung jener, die einen auf diese Veränderungen hinweisen wollen...

Freue mich auf den Austausch hier mit Dir!
Herzlich

Chris

Die schärfsten Kritiker der Elche
waren früher selber welche


F.W. Bernstein


septembersonne Offline




Beiträge: 5.747

09.03.2011 18:50
#4 RE: schon ein bisschen weiser Zitat · Antworten

Hallo, EXC2 und


Danke für das Teilhabenlassen!

Besuchst Du eine SHG?

Was möchtest Du für Dich tun, um stabiler zu werden?

Guten Austausch hier gewünscht!


LG

Manuela

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Das Leben ist schön, von " einfach " war nie die Rede.


obi68 Offline



Beiträge: 2.165

09.03.2011 18:55
#5 RE: schon ein bisschen weiser Zitat · Antworten

Hallo EXC2,

Zitat
Gepostet von EXC2
Während der Armeezeit hoffte ich tatsächlich, ich würde mein Leben wieder besser auf die Reihe bekommen.



Hier mußte ich dann doch sehr schmunzeln. Mann lernt nicht viel beim Bund, aber die Ausbildung zum Alkoholiker ist hervorragend.

Ansonsten vielen Dank für deine ehrlichen Ausführungen, in denen ich mich des öfteren wiedererkannt habe.


sandy_alex Offline




Beiträge: 96

09.03.2011 20:29
#6 RE: schon ein bisschen weiser Zitat · Antworten

Danke für deine ehrlich und selbst aufgearbeiteten Geschichte EXC2. Jetzt bist du ein halbes Jahr trocken, aber wie du selber schreibst: gefährdet. Hast du Pläne etwas dagegen zu unternehmen oder dich weiter zu stabilisieren? Wie sieht es mit SHG aus? Oder auch eine Therapie? Denkst du das du es alleine schaffst weiterhin trocken zu leben?


Gruß

Sandy


Isola Offline




Beiträge: 35

09.03.2011 22:47
#7 RE: schon ein bisschen weiser Zitat · Antworten

Zitat
Es gab nie eine Situation, in der irgendein Mensch mitbekommen hätte, was da ablief.



Hallo EXC2,

und die Fassade aufrechtzuerhalten kostet noch einmal unheimlich viel Kraft. Das war kein Leben mehr, nur noch ein funktionieren.

Was haben wir uns nur angetan?

Isola


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