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Saufnix  
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Dieses Thema hat 308 Antworten
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 Akute Hilfe
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funkelsternchen Offline



Beiträge: 3.824

06.05.2018 22:46
#256 RE: Der Vorhang zu Zitat · Antworten

Hallo Susanne,
ich wünsche dir wirklich alles alles gute. Hoffe, dass du die Chemo gut verträgst und natürlich einen möglichst positiven Verlauf. Auch ich kann mich, denke ich in dich reinfühlen. Hab nach knapp 2 Jahren Abstinenz auch ne ungute Diagnose bekommen mit anschl. schwerer OP. Doch Alk war da keine Option mehr und für mich hört sich das bei dir auch nicht so an. Du scheinst eine Frau zu sein, die gewillt ist, ihr Schicksal anzunehmen. Du hast meinen allergrößten Respekt.

Funkelsternchen


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Julia ( gelöscht )
Beiträge:

07.05.2018 10:24
#257 RE: Der Vorhang zu Zitat · Antworten

Liebe Susanne

Ich wünsche dir ganz viel Kraft und auch ganz viel Hoffnung für die kommenden Wochen. Gute Ärzte sowie ein empathisches und liebevolles Umfeld mögen dich begleiten und stützen. Ich drücke dir ganz fest die Daumen, dass du die Chemo und Bestrahlung gut verträgst, der Tumor entsprechend kleiner wird und die OP dann stattfinden kann.

Von Herzen alles Liebe
Julia


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Susanne Offline



Beiträge: 368

13.05.2018 10:53
#258 RE: Der Vorhang zu Zitat · Antworten

Gern möchte ich die zwei Monate in der Suchtklinik Höchsten mehr oder weniger abschließend betrachten. Da habe ich noch „seelische Reste“.

Drei Ereignisse oder Erkenntnisse sind mir wichtig, eine vierte Angelegenheit trenne ich davon und hole sie demnächst mal nach; heute ist ja auch noch Muttertag :-)

Los geht `s:

1.) An einem Abend gegen 20 Uhr (dunkel, minus 14 Grad!) gab es einen „echten“ Probe-Feueralarm. Alle (bis auf drei Junge Wilde, die im PC-Raum waren und zu Video-Clips so laut Musik auf ihren Ohrhörern hatten, dass sie den Feueralarm nicht gehört hatten) liefen alle mehr oder weniger (warm) bekleidet, ins Freie, zum Sammelpunkt an der „Raucherhütte“. Vier große Löschzüge, viele Feuerwehrmänner, viel Halligalli.

An diesem Abend ist mir erst so richtig bewusst geworden, dass, sollte ich jemals wieder anfangen, zu trinken, es kein Ende des Elends geben wird und dass der Absturz um Welten tiefer werden würde. Ich würde es nicht ein zweites Mal schaffen, wichtige Ressourcen aufrecht zu erhalten. Bis zu dieser Nacht hatte ich immer nur das Mantra vieler Abhängiger übernommen: „Dahin wo ich war, mit und in der Sucht, da will ich nie mehr wieder hin“. Das wäre bei mir die Nacht im November 2016, die mit der Platzwunde an der Stirn. Von dieser bescheidenen, kleinen Vorstellung habe ich mich gelöst und mir wurde so ganz bewusst, dass es für mich persönlich bei einem „nächsten Mal“, sollte ich es zulassen, viel, viel schlimmer kommen würde. Das neue Alkoholikerinnen-Elend hätte bei mir keinen Boden.

An dieser Stelle möchte ich mich noch bedanken bei Dir @ Vianne, für Deine Stellungnahme in: #222 RE: Der Vorhang zu: „Und ob man "leicht abhängig" oder "schwer abhängig" ist, finde ich ist ziemlich egal, es ist ja eher ne Zeitfrage als ne Charakterfrage.“ Besser kann man es nicht ausdrücken.
Und bei mir würde bei einem zweiten Absturz die Zeit auch noch im Zeitraffer fliegen. Es ginge schnell und brutal nach unten.

Danke auch an Dich @ Nino für Deine Überlegungen zur Klärung in #225 RE: Der Vorhang zu: „Zum anderen aber die Frage, für wen ich die Verantwortung trage“, gibst Du da zu bedenken.
Weil ich so kurz vor der Abreise in die Klinik stand wollte ich mich nicht mehr in die Diskussion einklinken, aber ich sehe es eindeutig so: Will ich aus der Sucht heraus kommen, trage letztendlich ich allein die Verantwortung für mich. Niemand anders hat die Verantwortung für mich und niemand anders ist verantwortlich dafür, ob ich die Sucht bewältige oder nicht. Aber auch ich bin umgekehrt nicht verantwortlich für den Suchtverlauf eines anderen süchtigen Menschen.

2.) Ende Februar war der dritte Todestag meines Mannes. Ich habe an diesem Tag geballt sehr viel Trauer über diesen Verlust für mich und unseren Sohn, und auch Wut auf das „ungerechte Leben“, auf die komplette plötzliche Zerstörung unserer gemeinsamen Lebenspläne, auf die nie wieder gut zu machende Erschütterung meiner Lebensbasis zugelassen.“Mein" Therapeut hat gesagt, dass er Menschen kennengelernt hat, die nach einem so plötzlichen Tod eines sehr Nahestehenden zerbrochen seien. Nun. Zerbrochen bin ich nicht. Nur ein bisschen selbstzerstörerisch…
Übrigens: Die Oberärztin sprach mich – am zweiten (!) Tag meines Aufenthalts - an: Solch plötzliche Todesfälle könnten ja auch Traumata auslösen; das wäre mittlerweile gut wissenschaftlich untersucht und diese wiederum würden die Hirnstruktur verändern. Dagegen gäbe es aber sehr gute Medikamente. Ich könne sie gern jederzeit darauf ansprechen. Hallo? Bin ich auf dem falschen Weg, wenn ich denke, dass ich doch in die Reha ging, um meine eine Sucht loszuwerden – und da wird mir auf dem silbernen (Pharma-) Teller die nächste angeboten?

An dem Tag selber habe ich mich zwischen den Gruppensachen zurückgezogen; ich musste unbedingt allein sein. Ich hatte das Lieblingsfoto von meinem Mann dabei, hatte am Vortag Blümchen im Dorf gekauft und eine ganz feine Mitpatientin hat mir eine kleine Karte des Trostes gegeben, sehr lieb.

Auf dem Weg zum Abendessen kreuzte ein anderer Therapeut am Aufzug meinen Weg und nuschelte „wiegehts“, in der berechtigten Erwartung auf eine den Konventionen entsprechende Antwort wie „gutundIhnen“. Zu hören bekam er aber: „Beschissen geht es mir, richtig beschissen. Heute ist der dritte Todestag meines Mannes und seine Witwe sitzt ein in der Trinkerinnenheilanstalt“.
Ja, so war es. Mann Tod, Witwe in der Trinkerinnenheilanstalt.

Nach dem Abendessen habe ich dann gedacht: Eigentlich als Zwischenbilanz nicht schlecht. Denn wenn die Witwe nicht hier säße, dann hätte sie zu Hause um diese Uhrzeit schon die zweite Flasche Rotwein in Angriff genommen.

Und so habe ich doch tatsächlich abends gegen 8 Uhr das erste Mal an diesem Tag an Alkohol gedacht. War die ganze Zeit gar keine Option, kein Gedanke daran. Und ich wollte auf gar keinen Fall welchen trinken, als seine Existenz mir so spät abends erst einfiel.

So wurde dieser dritte Todestag zugleich der erste, den ich nüchtern gelebt habe.
Und so soll und wird es auch fürderhin bleiben.

3.) Gegen Ende der zwei Monate hatte ich den intensiven Wunsch, einen Schlusspunkt hinter meine alkoholische Phase zu setzen. Irgendetwas Symbolisches zu tun, um meinem absoluten Begehren, nie mehr in die Suchtfalle zu tappen, Ausdruck zu verleihen. Ein Ritual, eine Magie, irgendetwas, dass die Sucht „auf dem Höchsten“ bleibt und mir nicht nach Hause mehr folgt. Ich habe hier im Forum in den Biografien so etwas in dieser Richtung nicht gelesen, vielleicht irgendwo auch überlesen. Daniel Schreiber („Nüchtern“) macht so etwas: Er lässt sich das Wort „Grace“ ins Handgelenk tätowieren, wenn ich mich richtig entsinne.

Ich bin auf etwas anderes gekommen: In 10 Minuten Gehweg-Entfernung ist eine schöne Therme http://www.bad-saulgau.de/sonnenhof/ Da durfte ich auf Kosten der Rentenversicherung während meiner Reha Wassergymnastik betreiben, aber auch am Wochenende war ich ein paar Mal selber dort. Und auf der großen Theke, wo man seine Eintritts-Chips holt oder kauft, steht ein ganz großer Aufsteller mit einer Flasche Sekt von der Farbe von Freixenet und eine kleine grüne Flasche Piccolo daneben; die Getränke kann man im Bistro im Eingangsbereich käuflich erwerben und auf dem großen Aufsteller steht: „Lassen Sie die Seele baumeln“. Tja. Der Aufsteller hat mich jedes Mal genervt. So etwas entgeht meiner Aufmerksamkeit immer noch nicht, wird auch noch länger so bleiben, wird aber weniger.

Sekt hat für mich eine besondere Bedeutung: Er ist das Getränk, dass ich gelegentlich in komplettem Selbstbeschiss vorschaltete, um meinen bereits feststehenden (Be-) Trinkentschluss noch vor mir geheim zu halten (haha) und dem ganzen einen gesellschaftlich-akzeptablen, pseudo-demi-mondänen Anstrich zu verleihen, bis dann die erste Anflutung, das AngeHEITERtsein, alle Masken der Kontrolle fallen lässt und der Übergang zum gewohnten 2-Flaschen-Rotwein-Konsum zunächst nicht so weh tut, der Selbsthass und die Verzweiflung über den kurzfristig ernst gemeinten oder auch nur halb angegangenen, jedenfalls vergeblichen Abstinenzversuch noch unterdrückt. Spätestens bis zum nächsten Morgen.
Wenn ich hingegen morgens schon genau wusste, dass ich mich abends betrinken musste, dann hatte das zumindest noch irgendetwas Geradliniges. Der Sekt war immer Lüge Lüge Lüge und führte auch zu diesem schrecklichen Misstrauen mir selber gegenüber, da ich mir nicht mehr trauen konnte. Eine der, wie ich finde, gravierendsten Folgen meiner Sucht, dass ich mich in dieser Hinsicht nicht mehr auf mich verlassen konnte.

Und meine Idee war dann, dass ich so eine Flasche Sekt aus der Therme auf dem Klinikgelände verbuddel und damit ein Zeichen setze. Ein Zeichen gegen die alkoholische Vergangenheit und gleichzeitig aber auch ein Zeichen, eine schützende Magie für (m)eine alkoholfreie Zukunft.
Dann habe ich gemerkt, dass ich auf keinen Fall im Ernst eine Flasche Sekt kaufen will! Ich will das da an der Theke gar nicht aussprechen. Ich will auf keinen Fall diesen typischen Flaschenhals anfassen müssen! Das Staniol, darunter der Draht, ne, ne, ne. Nicht wieder. Sogar das Haptische will ich nicht mehr.

Ich habe das dann mit meinem Therapeuten besprochen, der das Alles für eine richtig gute idee hielt, im Ansatz, mich aber fragte, ob ich dieses Verbuddeln vielleicht auch „nur“ in der Vorstellung hinbekommen würde. Nun, da ich in Kopfkino ganz gut bin (ist `mal schön, hat aber auch Nachteile) habe ich das dann so gemacht:

Die Flasche Sekt habe ich mit Schmackes (sehr viel Schwung und Kraft) an einem hässlichen Stahlpfeiler einer ganz hässlichen und düstern Zug- und U-Bahnunterführung, wo alles voller Taubenscheiße ist und nach menschlicher Pisse stinkt, zerschmettert und die Scherben sind an den mit hässlichem Graffiti verschmierten Betonwänden langsam heruntergerutscht und die Flüssigkeit ist in Dreck und Unrat auf dem Boden langsam versickert.
Das alles hat etwa 800 Meter unter der schönen Weide der Klinik stattgefunden, der Weide auf der all die Alpacas und Lamas und Pferde ab mittags stehen und friedlich grasen und sich keine Gedanken über den morgigen Tag machen und die ich von dem bequemen Lesesessel in meinem Zimmer immer im Blick hatte.
Bitte, Magie: Wirke.

Viele Grüße,
Susanne
Liebe brulara: Ich denke heute an Dich.

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Optimismus ist, bei Gewitter auf dem höchsten Berg
in einer Kupferrüstung zu stehen und »Scheiß Götter!« zu rufen.
(Terry Pratchett)


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trollblume Offline




Beiträge: 3.582

13.05.2018 17:25
#259 RE: Der Vorhang zu Zitat · Antworten

Ich habe mir meinen zweiten Vornamen als Hauptnamen gegönnt!

Vera hat noch nie gesoffen und das möge so bleiben

Wer seinen Hafen nicht kennt,für den ist jeder Wind der falsche
(Seneca)


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newlife ( gelöscht )
Beiträge:

13.05.2018 22:09
#260 RE: Der Vorhang zu Zitat · Antworten

Habe mich gerade an etwas erinnert beim Lesen deines Beitrags, Susanne.
Im Jahr 2009 unternahm ich den ersten Versuch, mit dem Trinken aufzuhören. Ich wurde eingeliefert und hatte nur das dabei, was ich an hatte. Ich bekam von der Klinik so ein seltsames Hemd und hatte das recht oft an während des Entzugs. Ein Arbeitskollege brachte mir dann gegen später noch weitere Klamotten.
Dieses Hemd habe ich dann in meinen Besitz übernommen. Ich sah es immer wieder in meinem Schrank und es erinnerte mich an die Entgiftung.
Ich blieb gleich auf Anhieb zweieinhalb Jahre trocken, aber immer wieder dieser verfluchte Stofffetzen.
Ich beachtete ihn dann weniger, ging wieder zur Entgiftung, aber mit gepackter Tasche. Die folgenden zwei Jahre war jedoch nix drin mit clean sein.
Als ich 2014 das letzte Mal die besagte Tasche packte, fiel mir dieser Stofffetzen wieder ein. Mit Bewusstsein war bei mir nicht mehr viel. Ich brauchte 3 Tage um die Sachen zu packen, aber dieses verfluchte Teil packte ich tatsächlich bewusst ein, nur um es an den Ort, der voller Leid und Qual ist, zurückzubringen. Danach war es dann vorbei - ich brauchte da nicht mehr hin.


Friedi Offline



Beiträge: 2.617

13.05.2018 23:02
#261 RE: Der Vorhang zu Zitat · Antworten

Mir kam der Gedanke, bewusst einen symbolischen Schlusspunkt hinter die alkoholische Phase zu setzen, gar nicht. Liegt wohl daran, dass ich mir AA-gemäß sage "HEUTE trinke ich nicht". Das sage ich natürlich nicht jeden Tag in Worten, aber es steckt einfach so in mir drin.

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Wenn du am Morgen erwachst, denke daran, was für ein köstlicher Schatz es ist, zu leben, zu atmen und sich freuen zu können.
Marc Aurel


Romy Offline



Beiträge: 130

15.05.2018 17:49
#262 RE: Der Vorhang zu Zitat · Antworten

Hallo Susanne,

ich bin beeindruckt von deiner Stärke.CHAPEAU

Natürlich ist "wieder trinken" keine Option für dich- genau genommen für niemanden.
Denn du brauchst deine ganze Kraft und Energie für das Kommende!
Bewahre dir deine Stärke.

Als ich folgendes gelesen habe, habe ich mich gefragt, ob die Stuation der Auslöser war oder eigentlich gar nichts damit zu tun hatte.
Und dir da einfach so dieser Gedanke kam.

Zitat von Susanne im Beitrag #258
Vier große Löschzüge, viele Feuerwehrmänner, viel Halligalli.

An diesem Abend ist mir erst so richtig bewusst geworden, dass, sollte ich jemals wieder anfangen, zu trinken, es kein Ende des Elends geben wird und dass der Absturz um Welten tiefer werden würde. Ich würde es nicht ein zweites Mal schaffen, wichtige Ressourcen aufrecht zu erhalten


LG Romy

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Beklage nicht, was nicht zu ändern ist, aber ändere, was zu beklagen ist.
(William Shakespeare)


Romy Offline



Beiträge: 130

15.05.2018 18:06
#263 RE: Der Vorhang zu Zitat · Antworten

Mir fiel dazu auch gleich folgendes ein:

Zitat von Susanne im Beitrag #258
Und meine Idee war dann, dass ich so eine Flasche Sekt aus der Therme auf dem Klinikgelände verbuddel und damit ein Zeichen setze.


Meine Therapeutin hat mir mal erzählt, dass sie zusammen mit einer Patientin deren "Party-Hose" verbuddelt hat.
Diese Sache hat mich damals fasziniert und ich habe daraufhin überlegt, ob es auch bei mir was zu verbuddeln gibt.
Mir fiel aber nichts ein. Jetzt hast du mich daran erinnert, dass ich noch mal in mich gehe - und vielleicht doch was finde...

LG
Romy

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Beklage nicht, was nicht zu ändern ist, aber ändere, was zu beklagen ist.
(William Shakespeare)


Susanne Offline



Beiträge: 368

17.05.2018 13:54
#264 RE: Der Vorhang zu Zitat · Antworten

Hallo Romy,

Du schreibst: „Natürlich ist "wieder trinken" keine Option für dich- genau genommen für niemanden. Denn du brauchst deine ganze Kraft und Energie für das Kommende!“

Jaja, natürlich. Die Stimme der Vernunft ;-)

Die Stimme der Sucht wispert: „Lass die Seele baumeln - nun kommt es da doch sowieso nicht mehr drauf an.“

Möge die bessere Stimme gewinnen ;-))

1. Jetzt aber ernsthaft inhaltlich zu Deiner Frage: Die Löschzüge und der Probealarm waren ein Anlass. Sie schufen ein Katastrophenszenarium – ohne Katastrophe.

Ich bin beruflich weit und breit die einzige Ersthelferin. Ups. Mein Name steht deutlich auf dem Alarmplan drauf. Und ich habe es noch einmal sehr stark empfunden, wieviel Glück ich gehabt habe, dass ich diese Verantwortung noch nie habe ausüben müssen. Der Unterschied, ob ich nüchtern alles in meiner Kraft stehende tun könnte, um einem Menschen zu helfen, oder ob ich, sei es durch Restalkohol, sei es durch das früher oder später unausweichliche Verschieben der Uhrzeitgrenze nicht mehr bis zum Arbeitsende ohne Alkohol aushalten könnte – selbst der geringste Zweifel an mir selbst, in einem Ernstfall alkoholbedingt „schlechte Hilfe“ geleistet zu haben, hätte mein weiteres Leben dauerhaft überschattet.

Fazit: Ein stattliches privates -meins- Katastrophenszenarium war aufgebaut – aber keine Katastrophe, kein Härchen habe ich einem anderen Menschen auch nur gekrümmt. Nochmal arg Glück gehabt.

2. Wenn sich nix zu verbuddeln oder zu tätowieren aufdrängt, ist doch gut. Wenn sich kein „Zeichen setzen“ oder „Wendemarke aufstellen“ seelisch in die Aufmerksamkeit boxt – nun, dann eben nicht.
Man hat mir erzählt, als ich acht Jahre alt gewesen sei, hätten Damen der westdeutschen Republik ihre BH verbrannt. Lustig. Aber das war ja auch eine Aus- oder besser: Ansage!
Wenn man jetzt aber nur mal so durch seinen Kleiderschrank durchginge und überlegte, was man verbuddeln oder verbrennen könne – nee, ich glaube, so funktioniert die Chose nicht ;-) Aber Probieren geht über Studieren!
Das Ganze ist aus meiner Sicht ein möglicher Baustein in der Rückfall-Verhütung.

Und was @ Friedi schreibt: "HEUTE trinke ich nicht" – dieser AA-Spruch gehört absolut mit zu meinen allerwichtigsten Bausteinen einer weiteren Abstinenz. Dieser Spruch hat mir im zweiten Halbjahr 2017 so manchen Tag und Abend und mein trockenes Genick gerettet. Auf den konnte ich mich immer zurückziehen, wenn es kurzfristig hart auf hart zu kommen schien. Der Spruch hat mir geholfen, den Trinkvorsatz den Tag über wegzudrücken und die konkrete Handlung des Kaufens und Trinkens des Abends ausfallen zu lassen. Bei mir wirkt der Spruch.

Was gar nicht geht ist „Das erste Glas stehen lassen“. Alle süchtigen Anteile jubeln laut auf bei der Imagination der Wirkung: „Das erste Glas.“
Der kleine sprachliche Appendix „stehen lassen“ wird komplett ausgeblendet und überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Wenn der Spruch in Signaturen auftaucht, kneife ich sogar vorsichtshalber die Augen ganz feste zu ;-)

Die Rückfall-Prävention war auch in der Klinik mau; an dieser Sollbruchstelle "Rückfall" meinte ich doch sehr zu merken, dass Therapeuten ohne Erlebniswissen (wie wir Abhängigen es nun einmal reichlich vorweisen können) bei diesem Thema stärker aufgeschmissen scheinen, als bei anderen Themen, wo sie unzweifelhaft hohen Wert haben können..
Einmal meinte einer während einer Gruppenveranstaltung, wir Frauen wären ja die Expertinnen für Rückfall-Prävention, nicht er und wir sollten doch mal erzählen…
Und eine Mitpatientin wies ihn dann darauf hin, dass wir alle Expertinnen in Rückfall wären, aber eben nicht in Prävention - sonst säße in dem Kreis ja nur er allein. Wie wahr.

Also, aus meiner Sicht ist Rückfall-Vorbeugung auch wieder eine super-individuelle Angelegenheit.

Viele Grüße,
Susanne

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(Terry Pratchett)


Romy Offline



Beiträge: 130

17.05.2018 17:19
#265 RE: Der Vorhang zu Zitat · Antworten

Hallo Susanne,

danke für deine Antwort.
Bei meinem Klinikaufenthalt gab es auch einen Feueralarm. War aber nicht zur Probe, sondern passierte durch einen Kurzschluss,wie nachher bekannt wurde.
Feuerwehr, Polizei mit allem drum und dran. Wir dachten also wirklich, dass es iwo im Gebäude brennt und es war mitten in der Nacht.
Wäre ich, wie du, beruflich weit und breit die einzige Ersthelferin gewesen, hätte ich diese Gedanken sicherlich auch gehabt. Denn das Ganze war ganz schon heavy! Werde ich nie vergessen!

Obwohl wir suchttechnisch alle in einem Boot sitzen, hat doch jeder seine individuelle Sichtweise, was Rückfall-Präventation betrifft.

z.B.

Zitat von Susanne im Beitrag #264
"HEUTE trinke ich nicht"

ist nicht meins!

Hingegen : "Das erste Glas stehen lassen" passt für MICH.

LG
Romy

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(William Shakespeare)


Susanne Offline



Beiträge: 368

02.06.2018 18:57
#266 RE: Der Vorhang zu Zitat · Antworten

Wie die Susanne beim Zwangsarbeitsdienst landete und … mitmachte.
Ein letztes Statement zu meinem Klinikaufenthalt Anfang 2018.

Die „Fachklinik Höchsten“ , eine Frauenklinik, ist seit 2010 in einem Neubau untergebracht, dessen Baukosten bei 15.700.000 € lagen. https://www.akbw.de/architektur/beispiel...ranke-3972.html
Gehört zu : „Die Zieglerschen“ Die Zieglerschen sind ein diakonisches Unternehmen mit Hauptsitz im oberschwäbischen Wilhelmsdorf. Motto: „Gott liebt jeden Menschen vorbehaltlos“.

Dadurch, dass die Patientinnen, ohne je gefragt zu werden, ob sie überhaupt spülen wollen, kostenlos nach jeder Mahlzeit und an 365 Tagen im Jahr spülen, spart die Klinik mindestens 44.043,09 € pro Jahr, das sind allein in den acht Jahren seit Fertigstellung des Neubaus 352.344,72 €.

Vom Speisesaal der Klinik aus gelangt man in eine chromblitzende Spülküche mit einer gigantischen Durchschubspülmaschine für 2 große Körbe gleichzeitig und mit von oben zu schließendem Chromdeckel, die in 3 Minuten fertig ist. Die Spülküche wird mit jeweils fünf suchtmittelabhängigen Frauen besetzt, da so ein reibungsloser Ablauf unter Zeitdruck am besten gewährleistet ist. Dabei muss man an den meisten Positionen stark aufeinander abgestimmt arbeiten, sonst knirscht es im Ablauf. Die Positionen sollen stets gewechselt werden, so dass jede zum Spülen gepresste Insassin auch alle Positionen zu beherrschen lernt… Als ich das erste Mal am Monstrum, der Durchschubmaschine war, erklärte mir eine „altgediente“ Mitpatienten, das sei die mit weitem Abstand wichtigste Position und da müsste ich fehlerfrei arbeiten, sonst sei ich Schuld an vermeidbaren Verzögerungen und dann gerieten die anderen Frauen wegen mir unter Druck,. Aha. . Besonders die Spüldienste nach dem Frühstück und nach dem Mittagessen geraten unter Stress und Zeitdruck, da man oft nicht fertig ist mit dem Spülen, wenn man schon bei der nächsten verbindlichen Therapieeinheit sein müsste. Im Speisesaal hängt ein unscheinbarer Din-A-4-Zettel auf dem steht, in einem solchen Fall möge man den Spüldienst unterbrechen und anschließend fortsetzen.

Das ist so unrealistisch, dass es unverschämt ist. Ohne Scham. Wie das ganze Arbeitsdienst-Konstrukt.

In der Fachklinik Höchsten wird der Spüldienst für drei Mal täglich über 100 Personen ausschließlich von den suchtmittelkranken Frauen durchgeführt, die in einer Phase seelischer und oft auch körperlicher Krisen und Tiefpunkte Heilung, Hilfe und Schutz erwarten und in ihrer Krankheit ausgenutzt und ausgebeutet werden. Von genau der Institution, in die sie sich als Kranke für eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme begeben.

Die Klinik nutzt dabei Erkenntnisse aus ihrem eigenen Therapiekonzept (ist über die homepage aufrufbar): „Das Selbstbild vieler -suchtmittelkranker- Frauen ist nach wie vor von einseitigen Festlegungen wie Passivität, Schwäche und Opferbereitschaft geprägt. Es handelt sich um „erlernte Hilflosigkeit“. Ihr „wahres Selbst“ (Gruen 1996/10) bleibt hinter diesen sozio-kulturellen Klischeebildern verborgen. … Die Folge ist eine schwer korrigierbare Prägung deformierter weiblicher Identität.“

Aha. Und deshalb und weil wir Frauen garantiert irgendein grundsätzlich vererbtes „Spül-Gen“ haben, funktioniert das auch mit dem Zwangsarbeits-Spüldienst. Gott liebt uns dann wahrscheinlich nicht nur vorbehaltlos sondern schaut auch wohlwollend auf all die fleißigen Frauenhände…

Im Speisesaal hängt ein weiterer Din-A-4-Zettel, auf dem die Gruppen, die pro „Schicht“ für den Spüldienst eingeteilt sind, verzeichnet werden. Ansonsten tritt weder die hauswirtschaftliche Leitung noch irgendein anderer Mitarbeiter der Klinik jemals in Erscheinung. Die konkrete Einteilung, wer wann spült obliegt den Gruppensprecherinnen der (12) Gruppen und wird damit komplett an die Patientinnen delegiert.

Für Frühstück und Abendessen muss bei fünf Frauen eine Stunde (Minimum) Spüldienst eingeplant werden, für das Mittagessen mindestens 1,5 Stunden. Ich selbst bin z.B. vom Frühstücks-Spüldienst nach einer Stunde und auf den letzten Drücker schnell in mein Zimmer geeilt, Schuhe gewechselt und huschhusch ab in den Turnhalle zum Idogo, 30 Minuten auf der Stelle stehen, Stöckchen schwingen.

Man geht einfach nicht früher, aus Solidarität, weil sonst die anderen vier Frauen ja mit für einen zu Ende arbeiten müssten.

Und genau so funktioniert das Ganze. Nie wird eine Patientin gefragt, ob sie am Spüldienst teilnehmen möchte. Man wird in der Gruppe, der man zugeteilt wurde, eingeplant und es ist doch klar: Würde man – konkret: Hätte ich am ersten Abend dazu mal angemerkt, dass ich in der Klinik bin wegen meiner Suchterkrankung und beileibe nicht zum ehrenamtlichen Spülen und mich geweigert – wäre die Integration in die Gruppe beendet gewesen, ehe sie begonnen hätte. So flüsterten es mir zumindest meine Anteile an „Passivität“ und der Anpassungsdruck – aber auch meine große Anpassungsbereitschaft – ein. Klar ist: Für eine Patientin, die sich „drückt“, müssen die anderen Frauen in der Gruppe mit spülen. Das aber lässt die Solidarität bzw. die „Opferbereitschaft“ nun einmal nicht zu… Immerhin ist das genau die Gruppe, mit der man drei Mal pro Woche zwei Stunden lang an der intensiven Gruppentherapie teilnehmen wird. Wer will es sich da schon gleich am Anfang –oder auch später- verscherzen.

Das System funktioniert auch deshalb, weil die meisten, denen dieses Ausnutzen ebenfalls gegen den Strich geht, so wie ich keinen Nebenschauplatz eröffnen wollen. Sucht und Therapie stehen an erster Stelle und ein Verzetteln wegen des Zwangsarbeitsdienstes hülfe einem ja nicht bei den Problemen, weswegen man nun einmal in die Klinik gekommen ist. Und die Klinikleitung profitiert natürlich davon, dass immer neue Frauen kommen und gehen und sich der Spüldienst als perpetuum mobile
unbegrenzt wird fortsetzen können, wenn nicht ….
Eine der Frauen in meiner Gruppe war vor vier Jahren schon einmal in der Klinik. Und sie berichtete, dass auch damals, also 2014, eine Abschaffung des Spüldienstes nach Kritik der Patientinnen in Aussicht gestellt worden wäre. Klar, die Klinikleitung kann das locker aussitzen. ..

Wenn nicht…

Tja, was?

Wenn sich nicht etwas ändert. Ich finde es völlig in Ordnung, dass jede Patientin für ihr eigenes Zimmer hinsichtlich Ordnung und Sauberkeit selbst verantwortlich ist. Das ist Übernahme von Eigenverantwortung.

Warum ich aber unter Stressfaktoren zum höheren Wohle der Aufstockung von Gehältern und der Auszahlung von Boni des Führungspersonals der Zieglerschen entschädigungslos arbeiten soll – schlimmer als im Knast gibt es nicht einmal einen geringen Obulus - erschließt sich mir nicht.

Auch die Rentnerinnen werden übrigens sofort in den Spüldienst „integriert“ (ausgenommen waren zur Zeit meines Aufenthalts ausschließlich Rollatoren-Benutzerinnen…) und in meiner Gruppe war eine 76jährige, die vor einigen Jahren ihre Mutter, ihren Bruder und ihren Ehemann innerhalb von 4 Monaten hat begraben müssen, damit waren alle tot, die sie als Kind, als Backfisch, als junge Ehefrau gekannt hatten. Sie schlief sehr wenig, hatte immer starke Rückenschmerzen und ich habe ihr angesehen, wieviele Schmerzen es ihr im Rücken- und Schulterbereich bereitete, die teils schweren Körbe von dem Abtropfbereich rechts von der Spülmaschine auf die Arbeitsplatte zum Abtrocknen zu heben – sie wäre eher in den Sielen gestorben, sprich in der Spülküche dieses christlichen Vereins, als dass sie „aufgegeben“ hätte. Irgendeine Fürsorgepflicht der Klinik? Vergisses.

Gemeinnützige Organisationen denken in der Führung so wie Heckler & Koch; sie müssen zwar keine Gewinne erwirtschaften, sind jedoch gut und erfindungsreich im Generieren einfallsreicher Gegenfinanzierungen zum höheren Ruhme der Institution und der Führungskräfte. Der Zwangsarbeitsdienst „Spülen“ in der Klinik Höchsten ist eine solche einfallsreiche Gegenfinanzierung. Und mir möge keiner erzählen, das wäre für das Tierfutter der tiergestützen Therapie und die armen Alpaccas müssten sonst hungern.

Die Männer in der Männerklinik „Fachklinik Ringgenhof“, Betreiber sind ebenfalls die „Zieglerschen“, müssen übrigens nicht selbst spülen! Für die gibt es professionelle Spülhilfen, die stellen nur ihr Geschirr ab und gehen!
Im rot-grün versifften NRW hätte das schon längst einen Skandal gegeben, aber hallo. Diese Ungleichbehandluch zwischen den Geschlechtern unter krasser Benachteiligung der Frauen würde sich hier kein Träger in Zeiten von GenderInnen, Grün*I*nnen, Frauenbeauftragen und Gleichstellungsbeauftragten mehr trauen. Wirklich nicht.

Noch etwas zum Hygienemanagement: Die hauswirtschaftliche Leitung erklärt ein paar Sachen dazu. Klar, die Klinik ist zertifiziert nach DIN ISO 9001:2015 und deshalb gab es für jede auch ein Formular, auf dem wir unterschrieben haben, dass wir alle Hygienevorschriften beherzigen werden. Ich lach mich schlapp! Allein der Punkt: „Sichtbare Piercings vorher ablegen“ Als ob auch nur eine der „Jungen Wilden“ jemals ein Piercing vor dem Spülen abgelegt hätte!
Auch hier wieder: Die kennen echt keine Scham. Die formale Unterschrift reicht ihnen, dann sind sie für das nächste externe Audit ja auch prima auf der sicheren Seite.

Schlimm war es auch Anfang März, als die Erkältungs- und Grippewelle nicht vor der Klinik Halt machte. So viele Frauen standen mit bakteriellen oder grippalen Infekten in der Spülküche, ich selbst anfangs auch, bis es mich mit 39 Grad Fieber flachlegte. Und während unter normalen Umständen eine erkrankte Mitpatientin nett behandelt wurde, wurden bei zunehmenden Ausfällen für den Spüldienst die Sorgenfalten der Gruppensprecherin immer tiefer wie die bei jedem Menschen mit Personaldispositionssorgen und der Blick wurde doch eher taxierend und man selbst als Kranke eher auf eventuelles Simulantentum bzw. auf hoffentlich baldige „“Wiederverwendung“ hin taxiert.

So; jetzt habe ich mir das mal alles von der Seele geschrieben.

Ich werde nämlich an den Herrn Gröh https://www.zieglersche.de/suchthilfe/au...tner.html#about einen kurzen (!) aber prägnanten Brief schreiben.
Wirklich; ich kann auch kurz. Aber vorher muss ich lang ;-)

Am 15.06.2018 habe ich dann dreimonatigen Abstand zu meinem Klinikaufenthalt und zu diesem Datum möchte ich meine Stellungnahme abschicken. Mein Einzeltherapeut hofft, glaube ich, dass ich das auch wirklich – ganz, ganz trocken- mache und er hat mir seine email geben, weil er gern ´ne Kopie hätte. Kann er gern bekommen.
Parallel kam gerade der Fragebogen der DRV Bund, wie es denn so gewesen wäre in der Reha. . Ich habe vor, auf die Ausnutzung der Arbeitskraft der suchtmittelabhängigen Frauen, die sich in ihrer Not dieser Klinik anvertraut haben, auch der DRV Bund mitzuteilen. Auch kurz. Und prägnant.

Bringen wird das nix. Denken jetzt Alle.

Schauen wir mal. Ich habe das Thema „Zwangsarbeitsdienst“ drei Mal gegen Ende der Reha erwähnt. 1.) Meinem Einzeltherapeuten gegenüber, der mir zurückhaltend zustimmte und vorschlug, dass ich meine Argumente der Klinikleitung Stefanie Maier mitteilte; er würde für mich einen Termin machen. An dem Termin am 13.03.2018, also fünf Tage vor Reha-Ende habe ich eine interessante, komplett Teflon beschichtete Frau Maier kennengelernt. Sie hat mich auf die historischen Wurzeln des Spüldienstes in Form des Pietismus hingewiesen. Ich entgegnete, dass ich diese Frömmigkeitsbewegung ebenfalls äußerst interessant fände, dass aber der Spüldienst, zumal nur für die Frauen und nicht auch für die Männer innerhalb einer Dachorganisation doch einen nicht zu leugnenden Anachronismus darstellte. Immerhin schrieben wir das Jahr 2018. Aber, wie gesagt: Teflon.

2.) Im Rahmen eines „Abschlussgespräches“ in einer Gruppe von etwa 10 Frauen meinte der die Runde leitende Therapeut, ich würde mit meiner Kritik und meinen Bedenken offene Türen einrennen und er sei sicher, dass mindestens 90 Prozent aller Therapeuten die sofortige Abschaffung dieses von Patientinnen getragenen und in keinerlei Hinsicht in irgend eine Arbeitstherapie eingebundenen Spüldienstes begrüßen würden.

3.) Einmal pro Woche, jeweils Dienstag, gibt es eine „Vollversammlung“ aller ca. 96 Patientinnen mit meist zwei das Event leitenden Therapeuten. Ausscheidende Patientinnen werden ermutigt, ein abschließendes Statement zu ihrem Aufenthalt abzugeben. Viele tun das nicht.
Ich habe 4 Minuten geredet – 2,5 Minuten habe ich mich, wie auch hier im Forum, darüber ausgelassen, wie gut mir der Aufenthalt getan hat und dass ich sehr viel Positives, vor allem eine neue Stabilität in der Zeit meiner Reha habe erreichen können. In 1,5 Minuten habe ich die Ausnutzung der Arbeitskraft und der "Opferbereitschaft“ beklagt und die Summe von über 350.000 € in den Raum gestellt. Mein Ruf nach Abschaffung des Spüldienstes in der aktuellen Form hat mir natürlich tosenden Beifall gebracht. Aber so etwas hat nur kurzfristige Entlastungsfunktion, auf die man keine Revolution gründen kann ;-)
Eine junge Mitpatientin fragte den Obertherapeuten etwas zaghaft: „Geht es beim Spülen denn wirklich auch um Geld“ “ Und zu meiner Verblüffung sagte er postwendend wörtlich: „Es geht dabei nur um Geld“. Außerdem meinte er, er würde die Zahl von 90% des Kollegen glatt auf 100 erhöhen, also dass seiner Einschätzung nach sämtliche Therapeuten für die Abschaffung des Spüldienstes durch die Patientinnen seien.

Gut, das hier ist kein „Fall Mollath“ und auch bei weitem nicht so schlimm wie das von Uwe in „…investigativ“ geschilderte Verfahren zur dauerhaften Freiheitsberaubung zum Vorteil der Institution.

Dennoch. Es ist Unrecht. Unrecht, Ausnutzen von Frauen in prekärer Lebenssituation und Geldschneiderei im Namen des Herrn So etwas kotzt mich einfach an.
Die kriegen von mir mal „Opferbereitschaft“ und „deformierte weibliche Identität“ voll krass auf die Augen, ey.

Also, wenn jemand noch eine Idee hat, wie man Druck machen könnte oder wenn jemand meine total laienhafte Rechnung mal nachprüfen würde, würde ich mich sehr freuen. Gern auch per PN.

Meine Rechnung: 3 professionelle Kräfte anstelle der 5 Patientinnen, für 3,5 Stunden am Tag = 10,5 Arbeitsstunden pro Tag x 8,84 € Mindestlohn = 92,82 € pro Tag x 365 Tage im Jahr = 33.879,30 €.
Zuzüglich 30% Lohnnebenkosten für den Arbeitgeber = 10.163,79. Macht zusammen 44.043,09 € .
In den letzten acht Jahren: 352.344,72 €. Soweit Lieschen Müller.

Viele Grüße,
Susanne


P.S.: Morgen ist mein erster Trockengeburtstag. Hmh, ob ich dazu vielleicht `was schreibe? ;-)

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kapoen Offline



Beiträge: 393

03.06.2018 07:05
#267 RE: Der Vorhang zu Zitat · Antworten

Hallo Susanne ,


das ist mal wieder einer dieser Postings, wo ich nicht so genau weis, ob ich etwas schmunzeln oder die Stirn runzeln soll!

Was ich sehr gut finde in Deiner Darstellung ist, das Du Dir eine kritische Haltung bewahrst, nicht alles einfach hin nimmst oder gar Misstände durch Idealisierungen weichzeichnest.

Auf der anderen Seite, ob Du Deine Annahmen etwa das Motiv der persönlichen Bereicherungsabsicht oder der Gewinnmaximierung auch handfest belegen kannst oder ob das ersteinmal blosse Vermutungen sind? Im letzteren Fall wären Aussagen wie "Zwangsarbeit oder Ausbeutung" wenigstens zu diesem Zeitpunkt noch nicht zulässig.

Den Patienten in den normalen Arbeitsabläufe einer solchen Klinik mit einzubinden ist soweit ich das Überblicken kann standard. Da wo ich zuletzt war, mussten wir (die Patienten) alled selber machen, putzen, Kochen, Spülen, Garten- und Waldarbeit, bis hin zu renovierungs- und Instandhaltungsarbeiten. Es gehörte als elementare Bestandteil zur Therapie dazu, dabei ging es natürlich nicht darum, das Arbeiten zu erlernen, sondern ein halbwegs realistisches Abbild der Aussenwelt abzubilden und in einem solchen lebensnahen Setting soziale Eigenschaften wie Konfliktfähigkeit, Teamfähigkeit, Durchsetzungsvermögen und Kompromissbereitschaft etc. neu zu entwickeln und zu erproben. So wenigstens der therapeutische Hintergrund dieser Arbeitsmassnahmen.

Das die Klinik sich dadurch auch erhebliche Personalkosten einsparrte lag auf der Hand. Anderseits wiederum war es dort so, dass die Tsgessätze pro Person/Tag ziemlich dürftig waren es waren damals in den frühen 1980er Jahren nur etwa 35 DM! Und ich weis, das die Klinkleitung das tägliche Essensgeld bis aufm Pfennig genau einhalten musste, um über die Runden zu kommen.

Ich halte es aber auch durchwegs für denkbar, gerade dann wenn die Kliniken letztendlich kommerziell ausgerichtet sind, ökonomische Überlegungen im therapeutischen Mantel gehüllt den Patienten in ausbeuterische Absicht angetragen wird. Das fände ich deswegen besonders schändlich, weil sofort klar ist, das eine womöglich therapeutische Absicht vollkommen ad Absurdum geführt wird, weil ja die Glaubwürdigkeit insgesamt erheblich leidet.

Ich frag mich, was Du eigentlich von einer solchen Therapie für Dich mitnehmen kannst, wenn anscheinend nicht die Bewohner, sondern die Profitabilität im Mittelpunkt steht?

Auch das Therapeutenteam verliert absolut an Glaubwürdigkeit, wenn es diesen Spüldienst auch als kontraproduktiv ansieht, aber anscheinend weder den Mut noch die Kraft sufbringt hier wss zu ändern!? Was sind denn das für Luschen?

Das es wie gesagt in solchen einrichtungen nicht immer alles mit recht zugeht habe ich auch überdeutlich in meiner vorletzten LZT erfahren. Dort hat sich der Verwaltungsdirektor der Klinik regelmässig an den neu aufgenommenen weiblichen Patientinnen sexuell Vergangen! Ich hatte eine Partnerin dort, und eines Taged kommt doch dieser Typ abens um 10 uhr unferfroren in ihr Zimmer reingelatscht. Der hatte dort überhaupt nichts zu suchen schon gar nicht um diese Uhrzeit! Zum Glück waren wir zzr Zweit so das dieses Arschloch unverrichtet abziehen musste. Wirklich schlimm ist, dad dem sein Verhalten natürlich auch aufgefallen ist aber alle weggeschaut, verleugnet und verdrängt haben und dss in einer Ri richtung die ja eigentlich Schutzraum sein sollte. Ich möchte nicht wisden, wieviele Frauen hier Opfer geworden sind in diesem System der Verdrängung und wieviele dadurch ihr Therapieziel nicht erreicht haben

Grüsse Kapoen


Julia ( gelöscht )
Beiträge:

03.06.2018 07:16
#268 RE: Der Vorhang zu Zitat · Antworten

Liebe Susanne

Ich gratulieren dir von Herzen zu deinem ersten Trockengeburtstag. Das ist fantastisch! Es wäre sehr schön, du würdest dazu noch was schreiben. Ich würde es gerne lesen.

Liebe Grüsse
Julia


Susanne Offline



Beiträge: 368

03.06.2018 07:26
#269 RE: Der Vorhang zu Zitat · Antworten

Moin Julia - noch eine Minute,dann kütt et... ;-)

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Susanne Offline



Beiträge: 368

03.06.2018 07:38
#270 RE: Der Vorhang zu Zitat · Antworten

Hallo zusammen,

in meinem ersten Beitrag hier im Strang schrieb ich:

„Der Termin bei Fr. Dr. Idihelahf nun also ist an einem schönen Junitag, einem Freitag um 8:00 Uhr morgens.“

Das war der 2. Juni 2017. Der Termin bei Frau Dr. Idihelahf hatte mir schon früh morgens fast den Rest gegeben. Am Nachmittag kam es fast noch schlimmer: Einem sehr entfernten Verwandten hatte ich (weil seine Eltern mit meinen Eltern in den 70ern häufiger Rommé miteinander gespielt hatten…) zugesagt, dass er, aus Neuruppin kommend, vom 2. auf den 3. Juni bei mir übernachten könne. Als ich nachmittags –„tagesnüchtern“ – die Tür öffnete, marschierte er mit ziemlich viel Gepäck an mir vorbei und da ich verwundert guckte, meinte er, er habe beschlossen, drei Nächte zu bleiben bis Pfingstmontag. Er ist dann im Handumdrehen zu einem (aus meiner Wohnung) entfernten entfernten Verwandter geworden, also sozusagen doppelt entfernt.

Was für ein Tag. Am Abend hatte ich das dringende Gefühl, mal wieder unbedingt ein paar Tage ohne Alkohol einlegen zu müssen. Bitte, bitte. Vielleicht ab morgen? Nur drei Tage vielleicht? Hat doch schon öfters geklappt. So verhandelte ich mit mir selber. Drei freie Tage, keine Belastungen, keine Verpflichtungen, hmh? Ginge doch. Bitte. Ist wichtig. Die Erschöpfung, der schlechte Schlaf. Versuch `s doch wenigstens. Du wirst Dich besser fühlen. Oder auch nur ein einziger Tag. Nur den Samstag. Und dann weitersehen.

Und so habe ich den Pfingstsamstag alkoholfrei geschafft. Und den Pfingstsonntag und den Pfingstmontag. Dann den Arbeitstag. Noch zwei Arbeitstage. Dann sogar den Freitag, meinen Abstinenzbrecherwochentag Nr. 1.
Und – was an Pfingsten vor einem Jahr schallendes Gelächter und pure Ungläubigkeit bei mir hervorgerufen hätte: Seit diesem Pfingstsamstag bin ich suchtmittelfrei.

Ich bin stabil abstinent.

Und immer wenn ich so etwas denke, sage oder schreibe, meldet sich in meinem kleinen Präventionshirn eine Rasselbande; die sehen so etwa aus wie Miraculix, seine Onkel und Schwestern, und die werden dann ganz alert. Die ruhen sich ansonsten unter einer großen Schatten spendenden Eiche aus, durch die die Sonne flirrend ein paar angenehme Strahlen schickt. Dann aber hüpfen sie auf und ab mit ihren selbstgebastelten Spruchbändern und Plakaten, auf denen steht: „Vorsicht!“, „Jetzt bloß nicht übermütig werden!“, „Achtung – ist ja erst `mal ein Jährchen!“, "Hochmut kommt vor dem Fall!“, „Oh-oh-Hochrisikosituation!“ „Stabil – jetzt wird `s gefährlich!", „Pass` auf Dich auf!“

Ich finde es gut, dass ich die sinnvollen Mahnungen dieser Rasselbande übertragen habe. .Die machen ihren Job prima, sind verlässlich für mich auf der Hut – und ich erfreue mich meiner …. stabilen Abstinenz.

Dass ich jetzt mit einem neuen NGP, einem Neuen Großen Projekt, so ähnlich wie BER , konfrontiert bin – immer noch unfassbar, aber Ich bewahre Haltung, bleibe trocken, Snoblesse oblige and never give up.

Heute bin ich vor allem eines:

Richtig, richtig stolz auf mich.

Und heilfroh, die Umkehr geschafft und den Weg zurück zur Freiheit und Unabhängigkeit vom Alkohol wieder gefunden zu haben. Ein kostbares Gut.

Ich freue mich und bedanke mich (auch bei „tommie“ für die Aufrechterhaltung des Forums). Die Möglichkeit, hier sozusagen einem nahezu therapeutischen Schreiben zu frönen, hat mir sehr geholfen. Und die vielen mich weiter bringenden Antworten und Kommentare auf meine Fragen und Unsicherheiten während des letzten Jahres bzw. während meines „ersten Jahres“ und die vielen anderen Threads mit wichtigen Impulsen– Dank auch dafür.

An den Stehtischen da drüben gibt es lecker Sprudel aus der Vulkaneifel, frische Säfte und meine liebste alkoholfreie Bowle:
Wassermelonenbowle mit ganzen Früchten.

Cheerio,
Susanne

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