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Dieses Thema hat 16 Antworten
und wurde 4.575 mal aufgerufen
 Wünsche und Anregungen
Seiten 1 | 2
Matthias53 Offline



Beiträge: 318

21.01.2006 12:58
RE: Prozessarbeit Zitat · Antworten

Hallo an diejenigen, die sich für die Persönlichkeitsarbeit interessieren, die über das reine Trockenwerden vom Suchtstoff selbst hinausgeht. Wer die 12 Schritte etwas kennt, der weiss, dass dort nur im 1. Schritt vom Alkohol die Rede ist. Beim 1. Schritt kann aber auch jede andere ungesunde Abhängigkeit eingesetzt werden, Krankheite oder andere Dinge, die ich versuche, zwanghaft unter Kontrolle zu bringen.
Meine persönliche Meinung ist, dass Selbsthilfegruppen ca. die ersten 3 Jahre der Trockenheit als Prozeß "abdecken", dass bis dahin oft ein Stillstand eintritt, der die Persönlichkeitserkrankung auf einer trockenen Ebene einfriert. Daher gibt es ein staubtrockenes Verhalten, egozentrisch und konservativ, was es oft sehr schwierig macht, sich darüber hinaus zu entwickeln.
Die Abkopplung von der Gruppe ist dann aber nicht verbunden mit dem Schritt in eine Prozeßgruppe, sondern ist eher ein Rückzug ins Private, was letztlich oftmals wieder im Rückfall mündet wie ich das aus praktischer Erfahrung kennengelernt habe.
Daher der Vorschlag, hier einen Versuch zu starten, Erfahrungen über Prozeßarbeit und Organisationmöglichkeiten zu erörtern.
Ich weiss, dass es professionelle Prozeßgruppen gibt, die von Anne Wilson-Schaef angeleitet sind.
Vielleicht gibt es ja auch AA-Gruppen, die sich rein mit diesem Thema beschäftigen. Oder bleibt nichts weiter übrig, als sich ganz privat einen solchen Kreis zu organisieren?

Es wäre sehr nett, Anregungen zu hören. Das kann auch ausserhalb des Forums sein.

Vielen Dank.

Matthias


Lachfalte Offline



Beiträge: 378

21.01.2006 13:28
#2 RE: Prozessarbeit Zitat · Antworten

Lieber Matthias,

"Meine persönliche Meinung ist, dass Selbsthilfegruppen ca. die ersten 3 Jahre der Trockenheit als Prozeß "abdecken", dass bis dahin oft ein Stillstand eintritt, der die Persönlichkeitserkrankung auf einer trockenen Ebene einfriert. Daher gibt es ein staubtrockenes Verhalten, egozentrisch und konservativ, was es oft sehr schwierig macht, sich darüber hinaus zu entwickeln."

Ich versteh nur Bahnhof!
Was decken die ersten drei Jahre ab? Stillstand? trockene Ebene? staubtrockenes Verhalten = egozentrisch und konservativ = ein Abhalten von Entwicklung?

Puuuh

Da bin ich ja gespannt, wie das hier weitergeht

Lachfalte


Matthias53 Offline



Beiträge: 318

21.01.2006 13:49
#3 RE: Prozessarbeit Zitat · Antworten

Hallo Lachfalte,
das kann ich hier nicht wirklich gründlich erklären, weil das ein sehr umstrittenes und umfangreiches Thema ist. Ich habe nicht vor, das Ganze zu zerbröseln. Es ist meine Erfahrung auf diesem Gebiet und daher versuche ich über diesen Weg hier Menschen kennenzulernen, die für sich ebenfalls die Notwendigkeit der Persönlichkeitsarbeit - Prozeßarbeit - sehen und würde mich freuen, mit diesen einen Austausch zu beginnen, der auch nicht unbedingt im Forum stattfinden muss.
Eine Diskussion über Gruppe, Nichtgruppe, Recht, Unrecht, etc. ist nicht in meiner Absicht. Das íst sicherlich nötig, wird aber wie ich festgestellt habe, sowieso in anderen Themenblöcken geführt.
Mir geht es hier um die Prozeßarbeit und in welcher Form diese möglich ist. Mal sehen, ob das hier möglich ist. Sicherlich wird über die Beiträge mit der Zeit verständlich, was der Hintergrund des Anliegens ist.

Gruss
Matthias


Igel ( gelöscht )
Beiträge:

21.01.2006 13:53
#4 RE: Prozessarbeit Zitat · Antworten

Lieber Matthias,

ne interessante These.

..ich denke "man" sollte als Alki im Thema bleiben und zwar über die besagten 3 Jahre hinaus, weil, die schlechten Seiten der Sucht schneller verblassen als die "Guten". (auch wissenschaftlich hinterlegt)

LG
Lutz


Lachfalte Offline



Beiträge: 378

21.01.2006 13:54
#5 RE: Prozessarbeit Zitat · Antworten

"Sicherlich wird über die Beiträge mit der Zeit verständlich, was der Hintergrund des Anliegens ist."

Dein Wort in Gottes Ohr Matthias!
Auch nach etwas googeln, ich verstehe deinen obigen Beitrag so rein gar nicht. Ob mich wohl mein straubtrockenes Verhalten gerade von einer Entwicklung abhält?

Aber gut, ich warte eben ab - Geduld zu haben hab ich ja schon gelernt....obwohl ich staubtrocken bin.

Verwirrte Grüße
Lachfalte


Matthias53 Offline



Beiträge: 318

28.01.2006 12:28
#6 RE: Prozessarbeit Zitat · Antworten

Hallo Lachfalte und Igel.
Prozeßarbeit bedeutet vom Grundverständnis her, dass die Suchterkrankung etwas ist, was eine Persönlichkeit "geschickt bekommt", als Alarmzeichen für die Erkrankung. Es ist ein Zeichen, sein Leben zu ändern. Die körperliche Abhängigkeit vom Suchtstoff ist daher der erste Prozeßschritt, praktisch die Voraussetzung dafür, mit der Genesungsarbeit zu beginnen. Wie gesagt, es ist die Basis der Genesungsarbeit.
Die Meinung, man brauche bloss aufhören mit der Droge, dann sei alles o.k., führt entweder zum "Rückfall" oder zur reinen Verlagerung der Erkrankung in andere Bereiche: da die meisten Suchtkranke ausser der Primärsucht mindestens noch eine Sucht haben (Nikotin, Spielen, Beziehungssucht, Arbeitssucht usw.), ist eine Verlagerung zunächst einmal "normal", auf Dauer aber ist der Genesungsprozeß so eher nicht erfolgreich.
Es handelt sich also um einen Prozeß, der über viele Jahre geht, wahrscheinlich ein Lebensprozeß, da das Suchtprogramm nicht mehr gelöscht werden kann, sondern nur überprogrammiert.
Meine Selbstbeobachtung sagt mir folgendes: Im ersten Jahr war mein Genesungsprozeß im wesentlichen ein körperlicher. Nach 6 Monaten konnte ich wieder normal durchschlafen, es gab mehrere Tage, an denen ich nicht mehr an Alkohol denken musste, meine alkoholbedingten Schäden konnten reguliert werden (Zahnbehandlung, Fettleber bildet sich zurück, Umstellung der Ernährung sich usw.) Absicherung im eigenen Umfeld (Verhaltensänderung: alkoholfreie Zone zuhause, Vermeidung von Alkoholgelegenheiten).
Natürlich kann ich hier nur die Hauptseiten wiedergeben, es passiert auf allen Ebenen was, aber eben mit unterschiedlicher Energie.
Nach einem Jahr stellte ich fest, dass ich entgegen früheren Behauptungen meinerseits, mit meiner beruflichen Situation überhaupt nicht zufrieden war, also änderte ich es, was in meinen Möglichkeiten lag. Das bedeutet, dass im zweiten Jahr mein soziales Umfeld vorrangig an der Reihe war (Arbeitsplatz, Bekannte, Familie). Hier erkannte ich, was ich an mir ändern muss, um diese Dinge zu verbessern. Lag es früher nach meiner Meinung an den anderen, meinte ich jetzt, durch Änderung meiner Person könnte ich grundsätzlich diese Dinge verbessern.
Im 3. Jahr begann mein geistiges Erwachen in dem Sinne, dass ich begann, über den reinen Alkoholismus und das Trockensein hinaus zu schauen. Ich machte Bildungsurlaub zu dem Thema, belegte die Gruppenstunden zum Positiven Denken und begann damit, selbst als Helfer mitzuarbeiten.

Nach meiner Beobachtung steigen nach diesen 3 Jahren sehr viele Trockene aus ins Privatleben, weil es nun ja nicht mehr viel Neues gibt, was in der Gruppe abläuft. Eine gewisse stabile Trockenheit ist erreicht und warum soll ich mich mit weiteren Persönlichkeitsfragen auseinandersetzen.

Das ist aber leider schade, denn nach den 3 Jahren öffneten sich für mich so viele neue Türen, die ich überhaupt nicht vermutet hatte, dass sie mit Sucht zusammenhängen. Ich bekam im 4. Jahr Zugang zu den 12 Schritten und nachdem ich erst total kontrovers dazu war, begann es zu klickern. Meine Sperren öffneten sich Stück für Stück. Um es etwas abzukürzen: ich begann zu begreifen, was ich brauche, um zufrieden nüchtern zu leben. Die unbewussten Leitsätze meiner Kindheit wurden mir immer bewusster, ich begann, mich abzunabeln und erwachsen zu werden. Damit verschwand auch meine Hundephobie. Mein Leben änderte sich völlig: Wohnsituation, Schluss mit dem Rauchen, Sportbeginn, erneute berufliche Veränderung, Familientherapie wegen der Rollenverteilung in einer Suchtfamilie, Ausstieg aus einer ungesunden Partnerschaft.
Die Gruppe war dabei aber immer mein Elektrizitätswerk, wo ich meine Akkus aufgeladen halten konnte. Aber ich erwartete von der Gruppe nicht mehr, dass sie mir mehr gibt als das Fundament meiner Nüchternheit.
Im übertragenen Sinne wäre das Abschalten der Gruppe für mich wie jemand, der seine Akkus voll hat und meint, deswegen könne er das Elektrizitätswerk abschalten. Aber ein Elektrizitätswerk, das angeschaltet ist, bedeutet noch lange nicht, dass ich seine Energie auch sinnvoll anwende.
Lesen muss man schon selber, auch wenn die Lampe brennt, zum Beispiel.
Vielleicht ist es jetzt deutlicher, was ich mit Suchtprozeß meine. Übrigens ist der Begriff Suchtprozeß zu finden bei Anne Wilson-Schaef und auch bei Melody Beatty. "Mut zur Unabhängigkeit" ist hierfür ein hervorragendes Buch.
Mein Anliegen ist also, über die reine Trockenheit hinaus, eine gesamtheitliche Genesungsarbeit zu machen und hierüber einen Austausch anzuregen. Letztlich ist diese Arbeit aber nicht nur Alkoholikern vorbehalten, sondern steht allen offen, die in irgendeiner Weise ungesunde Abhängigkeiten loswerden möchten.

So. Ich hoffe, dass es zum Verständnis beiträgt. Mal schaun, ob das ein Thema ist, was hier von Interesse ist.

Matthias


Max mX Offline




Beiträge: 5.878

28.01.2006 13:21
#7 RE: Prozessarbeit Zitat · Antworten

hallo Matthias,
" . . professionelle Prozeßgruppen gibt . ."
// Die Beschreibung deines Weges der ersten 3 Jahre klingen doch ganz gut. Dazu braucht man aber nicht zwingend Prozessgruppen-Theorieen etc. Mir hatte mein ganz kleines simples Leben dazu völlig ausgereicht, 1mal pro Woche 'Gruppe', wo in den unterschiedlichsten Ebenen alle Dinge zuTage traten. Gruß Max


Sonnensturm ( gelöscht )
Beiträge:

28.01.2006 13:31
#8 RE: Prozessarbeit Zitat · Antworten

Hallo Matthias,

was stellst Du Dir denn konkret vor unter Prozeßarbeit und gesamtheitlicher Genesungsarbeit im Austausch mit anderen vor? Also wie denkst Du, sollte diese sich gestalten oder sollte diese ablaufen?
Ich glaube zu verstehen, was Du für Dich persönlich an Genesungs- bzw. Prozeßarbeit geleistet hast, jedoch verstehe ich nicht, was Du Dir nun weiterhin konkret vorstellst.

sonnensturm


minitiger2 ( gelöscht )
Beiträge:

28.01.2006 15:04
#9 RE: Prozessarbeit Zitat · Antworten

Zitat
Gepostet von Matthias53
Das ist aber leider schade, denn nach den 3 Jahren öffneten sich für mich so viele neue Türen, die ich überhaupt nicht vermutet hatte, dass sie mit Sucht zusammenhängen.



ich meine dann war das bei Dir so und wenn Du dadurch zufrieden geworden bist dann war das das Beste was Du tun konntest.

Vieles von dem was Du als spezifisch für den Heilungsprozess von Suchterkrankten ansiehst ist allerdings Allgemeingut in der humanistischen Psychologie und in vielen Theorien zur Persönlichkeitsentwicklung bzw. Individuation. Ein Mensch fängt nun mal als Abhängiger an, wenn er auf die Welt kommt, und durchläuft diverse Prozesse, um zu sich selbst zu kommen. Selbst das ist noch kulturell überprägt, denn in Gesellschaften die dem Individualismus keine besondere Bedeutung beimessen, stehen die Leute vor ganz anderen Entwicklungsaufgaben.

Im letzten Jahr habe ich mich, weil ich mich auch mit diversen - teilweise scheinbaren - Notwendigkeiten nicht abfinden konnte, einigermassen gründlich mit Psychologie und Persönlichkeitsentwicklung beschäftigt, und siehe im Grund geht es überall ums gleiche. Sucht ist nur eine Facette, aus dieser Sicht.

der minitiger


Wuchtbrumme Offline




Beiträge: 1.291

28.01.2006 16:19
#10 RE: Prozessarbeit Zitat · Antworten

Hallo zusammen

Mich hat jetzt Mattias Bericht über Prozeßarbeit nur eines:

total fasziniert !


Die Darstellung, wohin in sein Weg, konsequent gegangen, geführt hat,
hat mich eben total begeistert. Ist für mich wie ein Fünkchen,dass eben angesprungen ist,
und mich hoffentlich noch ein Stückchen begleiten wird.

Liebe Grüße
Wuchtbrumme

@Matthias:
Dieses Post hat aber auch eine Frage, an der ich schon ne ganze Weile rumknabbere, beantwortet.
Auch wenn das sicherlich keine Absicht von Dir war, Danke!


Faust Offline




Beiträge: 5.519

28.01.2006 18:54
#11 RE: Prozessarbeit Zitat · Antworten

Also - was das Kind für einen Namen bekommt, ist mir wurscht.

Ich kann ab Morgen meine Schuhe stets an der Tür ausziehen und in die Hausschuhe schlüpfen.
Dann bleibt die Wohnung sauber.

Ich kann auch eine neue Qualität in meiner Persönlichkeitsentwicklung entfalten,
nachdem ich mir jahrelang den Kopf zerbrochen habe,
warum die Bude immer so dreckig ist.
Ich werde mal in meiner Kindheitsentwicklung nachschauen, was mir zu diesem Punkt beigebracht wurde.
Möglicherweise finde ich dann die Lösung...
Dann muß ich nur noch den bisherigen Prozess zum Stillstand bringen und einen neuen starten.

Und schon bin ich "Prozess-Arbeiter"?

LG
Bernd

Da schließe ich mich doch eher Max mX an...


Matthias53 Offline



Beiträge: 318

10.02.2006 11:18
#12 RE: Prozessarbeit Zitat · Antworten

Hallo. Vielen Dank für die Beiträge. Leider hatte ich keine Zeit und Energien frei, um schneller zu antworten. Zur Frage, wie ich mir hier Prozeßarbeit im Forum vorstelle, muss ich sagen, dass ich selber neugierig bin. Es war von mir als echte Frage gemeint. Hätte ich die Antwort schon, dann wäre es eine unechte Frage gewesen. Das ist übrigens der Charakter eines Prozeßes, dass das Ergebnis noch nicht vorher bekannt ist.
Zu den Beiträgen, dass ich doch zufrieden sein soll mit dem von mir Erreichten. Das kann jeder für sich so entscheiden. Aber ich bin eben nicht mit dem Erreichten in dem Sinne "zufrieden", dass ich mich nun hinsetze, meine Schätze hüte. Stillstand bedeutet Beginn des Rückfalls. Wer auf dem Genesungsweg ist, der ist es ein Leben lang. Es gibt zwei Menschen, die mich zur Vorsicht mahnen. Den einen habe ich in einer Therapiestätte kennengelernt. Er war 24 Jahre trocken gewesen, hatte Gruppen geleitet und war jahrelang beruflich erfolgreich, verliess die Gruppenarbeit und brachte es in den Jahren zum Millionär. Dann wurde er rückfällig. Innerhalb eines Jahres verschwand sein Vermögen, seine Villa, seine Frau. In der Therapiestätte sagte er zu mir: weisst Du, der Alkohol hat mir geholfen, die Dinge loszuwerden, die mich noch belastet haben, aber ich habe bestimmte Dinge nie gelöst in meiner Trockenheit und mein Inneres verschlossen, wenn meine Seele rebellierte. Ich habe meiner Frau nicht gesagt, dass mir auch ein normales Auskommen reicht und dass ihre materiellen Vorstellungen für mich eine Belastung waren. Ich habe meine "Leichen im Keller" nicht komplett entsorgt gehabt. Das war mir aber nicht wirklich bewusst. Der Alkohol hat mir geholfen, sie loszuwerden. Das hätte ich auch nüchtern haben können. Vielleicht ein mutiges Gespräch mit meiner Frau oder mit jemandem, der uns hätte helfen können. So hat es mich fast mein Leben und mein ganzes Vermögen gekostet. Und erkannt habe ich es erst hier in der Therapie. So viel zur Selbstzufriedenheit.
Ein anderer Freund, der in früheren Jahren ebenfalls lange trocken war, Gruppe geleitet hat usw. stieg beruflich auf bis in die Managerebene. Seine Familie profitierte davon. Die Familienbeziehungen blieben von der Genesungsarbeit ausgeschlossen. Solange das Geld floss und er oben schwamm, stolzierten alle herum. Aus der Gruppenarbeit war er raus und damit auch aus dem Genesungsprogramm und eines Tages trank er "unerklärlicherweise" auf einem Geschäftsempfang alkoholfreies Bier. Es blieb nicht dabei. Trotz Hilfsangeboten begann jetzt der Niedergang. Betriebliche Abstufung. Jetzt auf einmal Hilferuf der Familie nach der Gruppe. Er schaffte es nicht mehr. Zuletzt kroch er auf der Straße herum und bettelte die Vorübergehenden nach Alkohol an. Er starb.
Diese Erfahrungen flößen mir sehr viel Respekt und Vorsicht im Umgang mit unserer Krankheit ein und ich versuche von diesen Freunden zu lernen, was diese übersehen haben, zu welchen Schlüssen sie gelangen. Und ich weiss, dass ich mit meinen Trockenheitsjahren zur statistischen Unerheblichkeit von unter 1% der Alkoholiker gehöre, die im Laufe von 10 Jahren nicht einen Tropfen Alkohol zu sich genommen haben. Es sind immerhin 70%, die weniger als 3 Monate im Laufe von 10 Jahren trinken. Bei anderen Krankheiten wären die Ärzte sehr stolz auf das medizinisch erreichte. Und es ist auch objektiv ein grosser Erfolg, wenn 70% der Erkrankten in 10 Jahren weniger als 3 Monate davon insgesamt noch Alkohol trinken. Der Anspruch nach vollkommener Trockenheit aber wird von weniger als 1% erreicht, was aber noch nicht bedeutet, dass sie geistig und seelisch auch wieder normal sind wie obige Beispiele zeigen. Diese Angaben beziehen sich auf die Alkoholiker, die sich Hilfe in Suchteinrichtungen gesucht haben und es interessiert an dieser Statistik nur die körperliche Abstinenzfrage.

Daher suche ich den Kontakt zu Menschen, die eben Erfahrungen mit der Prozeßarbeit haben oder sich dafür wirklich interessieren. Ob sie diese in speziellen Gruppen machen, bei Weiterbildungen oder für sich. Es ist doch klar, dass diese Fragen und Prozeße in den ersten Jahren vielleicht mal angerissen werden, aber nicht die Hauptarbeit sind. Da geht es erst einmal darum, wie ich mein neues Lebensfundament schaffe und die Trockenheit erreiche und stabilisiere. Eine Therapie ist hierbei sicherlich hilfreich, ist aber keine Komplettversorgung für ein ganzes Leben.
Zu Minitigers Beitrag folgendes: Es geht mir nicht darum, Abhängigkeit abzuschaffen oder loszuwerden. Der Mensch ist ein Wesen, dass die Fähigkeit hat, Abhängigkeiten einzugehen, die für ihn nützlich sind. Er braucht diese Fähigkeit, um zu überleben. Ich bin abhängig von meinem Job, von meiner Parterin, vom Elektrizitätswerk. Das sind alles Abhängigkeiten, die ich eingehe. Das entscheidende ist, dass sie gesunde Abhängigkeiten sein sollten. Es geht also nicht darum, jede Abhängigkeit loszuwerden, sondern die ungesunden. Die Abhängigkeit von einer Gruppe ist für mich auf jeden Fall gesünder, als die Abhängigkeit vom Alkohol. Wir sind nun mal abhängig von der Gemeinschaft, von der Zuwendung anderer Menschen. Wir sollten uns halt die richtigen Menschen aussuchen, die falschen verabschieden. Dazu muss ich mir erst mal klar sein, welche Abhängigkeiten ich überhaupt habe und dann sollte ich diese Liste mal durchschauen und prüfen, ob es sich um eine gesunde oder ungesunde handelt. Die Abhängigkeiten vom Alkohol, vom Nikotin, aber eventuell auch die von einer besitzenden Beziehung sind ungesunde. Als erwachsener selbst entscheidender und selbst verantwortlicher Mensch, bin ich dafür verantwortlich, ob ich sie behalte oder beende.
Die Psychotherapie ist in Suchtfragen nicht so hilfreich, da sie eher Erklärungen liefert, bestenfalls kann der Bewußtwerdung etwas abgewonnen werden. In Suchtdingen scheint mir die Transaktionsanalyse das richtige zu sein. Die Arbeit im Jetzt: das, was jetzt passiert und was zwischen mir und anderen Menschen jetzt passiert. Nicht die Frage, warum trinke ich eigentlich ist wichtig. Denn was nützt mir die Antwort? Aufhören muss ich sowieso, wenn ich überleben will. Egal ob angeboren oder anerzogen. Ich bin ohne Alk auf die Welt gekommen und niemand hat mir das Zeug reingeschüttet ausser ich selbst. Also frage ich nur, was hindert mich daran aufzuhören und ändere das. Wenn 40.000 Zuschauer im Stadion sind und ich kriege den Ball vor den Kopf, kann ich mich ein Leben lang fragen, warum ich und nicht die anderen. Produktiv ist diese Suche aber nicht, sie hält mich vom Leben ab. Und so ist es auch mit der Frage nach den "Gründen". Wer etwas ändern will, der sucht Wege. Wer nichts ändern will, der sucht Gründe.
Die Frage steht, was hindert mich daran, nüchtern zu leben? Es geht darum, die bestehenden Hindernisse zu erkennen und zu überwinden. Wenn dabei die Elternbeziehung im Wege steht, dann ist sie dran, aber nicht, um sich in der Vergangenheit zu suhlen und seine Kindheit als Erklärung zu missbrauchen. Der Unterschied zu gesunden Menschen ist eben, dass ich mit dem Loswerden von Abhängigkeiten nicht so normal umgehe. Daher ist die Prozeßarbeit von Suchtkranken vielem anderen im Leben ähnlich, aber doch nicht gleichzusetzen.

Das war mal wieder ein Roman. Aber es war ja eine längere Pause. Bin gespannt auf den weiteren Prozeß hier.

Matthias

[ Editiert von Matthias53 am 10.02.06 11:26 ]


minitiger2 ( gelöscht )
Beiträge:

10.02.2006 13:27
#13 RE: Prozessarbeit Zitat · Antworten

Hi Matthias,

das wird jetzt keine direkte Erwiederung zu Deinem Beitrag, nur ein paar Gedankenfetzen die mir beim Lesen "hochpoppen".

Vielleicht hatte ich schon eine Menge Glück in meinem Leben.

z.B. daß mir schon sehr bald nachdem ich den Gedanken zum Trockenwerden gefasst hatte, jemand über den Weg gelaufen ist, der nach 12 oder 14 Jahren Trockenheit (erinnere mich nicht mehr genau) innerhalb weniger Wochen total abgestürzt war und dem man nach 4 Wochen Rückfall seine jahrezehntelange Trockenheit nicht mehr angemerkt hat.

So wusste ich gleich daß ichs besser ernst nehme...

Oder daß in meinen Verwandten-/Bekanntenkreis schon einige dran gestorben waren, so daß mir klar war, das passiert tatsächlich - nicht irgendwo, sondern da wo ich bin.

z.B. daß ich trotz Hochbegabung schon seit meiner Kindheit eine ausgeprägte Abneigung gegen Karrieredenken habe und grundsätzlich arbeite, um zu leben, und nicht umgekehrt. Und sobald ich eingermaßen leben kann, geht meine Bereitschaft zur Mehrarbeit direkt gegen Null.
Lustigerweise manifestierte sich mein Alkoholproblem, als ich längere Zeit dran gearbeitet habe, mich dem Leistungsdenken der gehobenen Arbeitswelt anzupassen, Verpasstes gradezubiegen und so - da war ich nach aussen erfolgreich und das hat ja auch was von einem Rauschgefühl, und vom Lebensgefühl hätte ich mich genausogut wegschmeissen können. Am schlimmsten wars als ich nach aussen so wenig Probleme hatte wie nie zuvor in meinem Leben...

Na ja, ich wollte mich angesichts des vor mir liegenden Arbeitslebens schon mal umbringen - was ist das Leben schon wert, wenn mans mit Arbeit versaut? Mit Arbeit, um vor anderen was darzustellen meine ich, oder sonstiger Selbstentfremdung - Selbstversklavung als Lebenssinn war nie das meine...bin schon immer lieber in der Sonne gelegen. War eher diesbezüglich zu extrem...

z.b. daß meine Eltern so widersprüchliche Forderungen und Erwartungen an mich Einzelkind hatten, daß ich denen sowieso nicht gerecht werden konnte und es leichter für mich war, das ganz zu verweigern und mich überhaupt nicht um das zu scheren, was andere gern hätten. Jahrelang hatte ich die Mitteleuropäische Gesellschaft schon mal komplett verlassen, samt ihren sozialen Netzen, war ausgestiegen obwohl ich mittendrin gelebt habe.

Und daß ich von daher immun gegen jegliche Familiengründung war, bei der es um Status oder heile Familienwelt ging...und daß ich dennoch eine Lebensgefährtin gefunden habe, der es bei allem Co-Verhalten nie ums "Gesicht-wahren" ging. Mit der ich und sie mit mir so lange Streit- und Zwiegespräche führe, bis Klarheit aufkommt. Ja, und daß ich bei meiner Selbstverwirklichung keine Rücksichten auf Kinder nehmen muss.


z.b., und nicht zuletzt, daß mir schnell aufgefallen war daß mein Trinkverhalten meinem Freiheitsdrang nicht mehr entspricht. Ja das Glück des lichten Moments hätte ich nicht erzwingen können, schön daß ichs hatte.
Ich fühl(t)e mich dem Alkohol gegenüber machtlos, wenn ich mal angefangen hatte, Kontrollverluste ohne Ende - aber es ganz bleiben zu lassen war (noch:lichtkein wirklicher Leidensweg für mich.
(die längste Zeit waren Drogen und Alkohol Ausdruck des "ich mach was ich will" bei mir. Ich hatte auch nie Hemmungen, schlecht aufzufallen)
Aber Trinken zu müssen war mir schnell ein unerträglicher Zustand. Nö also dann lieber gar nicht...

Und heute? Ich hab grad Gelegenheit, mir den Job selbst zusammenzubasteln und ein Auge drauf zu haben, daß mein Lebensgefühl dabei nicht zu kurz kommt - nachdem ich meinem letzen Chef ein wenig zu deutlich - für ihn, nicht für mich - die Meinung gesagt habe. Bereut hab ichs noch nicht.

Langer Rede kurzer Sinn: Garantien dafür daß mir meine nächsten Lebensjahrzehnte so gelingen, wie ich mir das wünsche, gibt es nicht. Egal was ich mache. Ob ichs einfach laufen lasse oder Prozessarbeit mache oder in eine Gruppe gehe - letzte Sicherheiten gibt es nie. Es kommt drauf an was ich mache wenn ich mal auf den ganzen Präventionsperfektionismus Null Bock habe und auf mein mühsam aufgebautes Wertesystem grade überhaupt keinen Wert lege...wenns mir also nach "Aussteigen" ist. Steig ich dann selbstzerstörerisch aus oder wie wird das aussehen - und da hat die Vorab-Erkenntnis eine prinzipielle Grenze, nämlich die Zukunft. Die ich hiermit einfach auf mich zukommen lasse

Ich brauche andere Leute, damit ich seh wie es gehen kann. Im guten wie im schlechten Sinne. Bindungswillig, im Sinne daß ich mich einer Gruppe fest anschliessen möchte, bin ich dennoch nicht. Ich halte es eher so wie hier im Forum. Tausende Erfahrungsberichte, und wo ich was für mich brauchen kann, da nehm ichs mir.

Inzwischen kenn ich einige Leute, die über 20 Jahre trocken sind und die ich als lebendig empfinde. Gemeinsam ist ihnen eigentlich nur eins: jeder macht das, was er für sich als richtig empfindet.
Ich gehör da noch lang nicht dazu, von der Zeit, aber ich denk die Richtung könnte für mich passen. Gefühlsmässig.

der minitiger


Max mX Offline




Beiträge: 5.878

10.02.2006 19:23
#14 RE: Prozessarbeit Zitat · Antworten

hallo minitiger,
"Inzwischen kenn ich einige Leute, die über 20 Jahre trocken sind und die ich als lebendig empfinde. Gemeinsam ist ihnen eigentlich nur eins: jeder macht das, was er für sich als richtig empfindet."
// Ich fühle mich angesprochen!? Aber über Prozessarbeit habe ich nie nachgedacht, oder in meiner Logik bewegt. Vermutlich habe ich still in mir Prozessarbeit gemacht? anstatt darüber nachzudenken? Klären wir Anfang März, Gruß Max


Seelchen ( gelöscht )
Beiträge:

10.02.2006 19:37
#15 RE: Prozessarbeit Zitat · Antworten

Also Minitiger,

wenn ich das so lese, freu`ich mich einfach irgendwie, dass da mal was blättert...

..hast doch sonst hauptsächlich gemurrt, gelle?!?!

Deinen Weg, zumindest so, wie du ihn hier darstellst, kann ich nachvollziehen, denn er ist pragmatisch und unprätentiös. Lass bald was folgen!

Lieben Gruß
Marianne


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