Ich kann mich noch sehr genau an den 8.10.04 erinnern.Kein Geburtstag,kein Jubiläumsdatum,nein,der 1.Besuch beim Freundeskreis,meiner SHG.
Todesmutig ging ich mit meinem Mann an besagtem Freitag zum Gemeindehaus,wo die Treffen stattfinden.Stratzten vorbei an einer Gruppe von Leuten,die sich am Eingang ne Zigarette rauchten.Und wir : auf der Suche nach der runtergekommenen Truppe,die mir helfen sollte,von der Sauferei loszukommen.Endlich die erlösende Frage einer etwas älteren Dame,ob wir zum "Freundeskreis" wollen.Nach einem schüchternden,ungläubigen "Ja" die freundliche Antwort,da wären wir richtig und sollten in den Gruppenraum folgen. Wir kamen in einen gemütlich eingerichteten,warmen Raum und sahen die Gesichter wieder,die wir am Eingang gesehen hatten.Unglaublich schauten mein Mann und ich uns an.Die waren allesamt sehr gepflegt und hatten ein ganz ordentliches Erscheinungsbild.Nix runtergekommen,stinkig,schmierig,nix lallend oder torkelnd. Hausfrauen,Studierte,Arbeiter,Rentner,alles vertreten. Ganz normale Menschen!
Spätestens da wurde uns klar,dass Alkoholismus nichts mit sozialer Schicht zu tun hat,dass es jeden treffen kann,so wie es mich ja auch getroffen hat.
Ich habe einen grossen Traum:Ich wünsche mir,dass das Klischeedenken in unserer Gesellschaft ein Ende hat und das Herziehen und die Vorstellung über Alkoholiker sich ändert.
Ach so,übrigens ist der "Freundeskreis" für mich auch zu einem echten geworden,zu dem ich jetzt gleich auch wieder hingehen werde,denn heute ist Gruppenabend.
das alle schichten vertreten sind beim alkoholkarusell siehst du ja an saufnix. was hier allein schon für geistesgrössen rumschwirren. die, die man sich als alkoholiker "vorstellt" besuchen auch keine gruppen. sag ich mal so.
also bevor ich damals ins Krankenhaus eingewiesen worden bin, war ich das volle Klischeebild eines Alkoholikers. Von einem ordentlichen Erscheinungsbild weit entfernt das gleiche betraf mein Umfeld Wohnung etc.
War ich da nun kein normaler Mensch mehr? Oder bin ich wenigstens jetzt einer?
Was ich damit sagen will , ist das diese Leute, die stinkig torgelnd, wie du es ausdrückst, auf der Strasse rum laufen, mit Sicherheit , jedenfalls die meissten ein ganz normales Vorleben gehabt haben. Sie haben bloß den Absprung nicht rechtzeitig geschafft. Sprich: noch ein bissel zeit ins Land und ein paar soziale kontakte weniger und jeder von uns hätt auch dort sein können.
als mir meine Ärztin vorschlug einen Entzug in einer Klinik zu machen, muß ich wohl so entsetzt geguckt haben und sie hat wohl auch meine Gedanken erraten.
Sie klärte mich gleich auf. Alkohol macht vor keiner sozialen Schicht halt. Es gibt Ärzte, Rechtsanwälte, Handwerker, alles ist vertreten. Und ich war auch schon in der Klinik angenehm überrascht.
Und als ich meinen Entzug hinter mir hatte und nach Hause kam, war ich relativ entsetzt über meine Wohnung. Da lag einiges im argen und ich mußte erstmal ausmisten und gründlich putzen. Also waren da ja auch schon Anzeichen, daß ich so einiges durch Alkohol nicht mehr bewältigen konnte.
ZitatIch wünsche mir,dass das Klischeedenken in unserer Gesellschaft ein Ende hat und das Herziehen und die Vorstellung über Alkoholiker sich ändert.
Hallo Adebar,
ich denke das das Bild eines Alkoholikers was du beschreibst, weniger ein klischee ist. Es ist nun mal eine ganz reelle Folge vom Alkoholkonsum. Ein Klischee ist, das man erst Alkoholiker ist wenn man dort angekommen ist.
War ist aber auch das jeder seine ganz eigene Schmerzgrenze braucht um vom Alkohol wegzukommen. natürlich gibt es Millionen Alkoholabhängige, die einiges mit Geld ausgleichen können, die Familie , soziale Kontakte haben die dafür sorgen das sie sozial angepasst bleiben und die dadurch wenig oder gar nicht in der gesellschaft auffallen. Aber die kommen eben auch nicht oder schlecht vom Alkohol weg. Das Bild vom torkelnden verwarlosten Alkoholiker ist kein Klischee, das ist reell.
ZitatDa lag einiges im argen und ich mußte erstmal ausmisten und gründlich putzen. Also waren da ja auch schon Anzeichen, daß ich so einiges durch Alkohol nicht mehr bewältigen konnte.
hallo Adobe,
genau das ist es ja was uns Angst macht, wenn wir anfangen uns diesem Bild zu nähern.
genau und was ich im nachhinein als schlimm emfpand war, daß ich nass gar nicht so realisiert habe, wie meine Wohnung aussieht.
Selber bin ich immer sehr gepflegt durch die Gegend gelaufen. Nur am Wochenende, wenn ich nicht arbeiten mußte, habe ich mich oft auch nicht aus dem Schlafanzug gewältzt.
Wenn ich da heute so an die Zeiten denke, bin ich heilfroh, nicht mehr trinken zu müssen. Denn es war schon ein müssen, ohne wurde ich total nervös und war zu nichts mehr zu gebrauchen. Und am Wochenende auch schon des öfteren morgens.
Ich denke auch, dass man früher oder später so endet, egal welche soziale Schicht.
Ich war eigentlich nicht so schlimm, sogar eigentlich noch weit davon entfernt, aber trotzdem merke ich dass man ohne Alkohol ganz anders auf sich acht gibt.
Z.B. saß ich oft noch mittags im Schlafanzug rum oder aß deen ganzen Tag nichts, räumte nicht meine Sachen auf und so weiter.
Jetzt bin ich genau das Gegenteil und das tut wirklich gut zu sehen, dass man doch noch sein Leben auf die Reihe kriegt.
Ich wollte noch zu der sozialen Unterschicht sagen, dass ich finde man sollte sich nicht darüber lustig machen. Schliesslich hat es ja keiner freiwillig gewählt dumm und ungebildet zu sein und wenn man zum Glück klüger ist dann sollte man sich still und leise freuen aber nicht drauf rumhacken wenn jemand nicht so klug ist.
Klugheit ist je eigentlich auch nur wie ein Geschenk für das man nichts getan hat (finde ich).
hallo, nach aussen hin bin ich auch recht gepflegt, habe einen anstrengenden, interessanten beruf, bei dem ich immer unter fremden menschen bin. von denen ahnt niemand, wie es um mir steht. bin ein guter schauspieler, auch wenns sehr viel kraft kostet. und langsam aber sicher kann ich nicht mehr ... nowayout
Zitat: Klugheit ist ja auch eigentlich nur ein Geschenk für das man nichts getan hat (finde ich)
Ich seh`s etwas anders. Das Gegenteil von Klugheit ist Dummheit. Um das Erstere zu erlangen und das Andere zu beenden ist Intelligenz gefragt. Und die ist ein unterschiedlich verteiltes Geschenk, ohne Rücksicht auf die Herkunft.
Da fällt mir gerade der Spruch ein: Die Intelligenz verfolgt mich, aber leider bin ich schneller.
Ich glaube ich meine eine andere Form der Dummheit. Nicht die Doofheit, dass man das eigene Leben nicht gebacken kriegt, die ist auch unter Akademikern weit verbreitet und dagegen hilft Nachdenken ganz gut.
Was ich meinte ist das was man wohl "intelektuelle Minderbegabung" nennt oder so, also sprich, dass jemand trotz Bemühung nie richtig lesen und schreiben oder rechnen lernt, den Hauptschulabschluss nicht kriegt, jeden Job verliert, weil er die Anforderungen nicht versteht und so weiter.
Ich meine: Viele gucken ja darauf herab, dabei wünscht es sich ja niemand z.B. Analphabet zu sein.
Ich glaube ehrlichgesagt, dass "klug" zu sein (im Sinne von einem IQ haben der einem erlaubt an der Gesellschaft teilzuhaben) eine der wichtigsten Dinge ist die einem das Leben schenken kann. Neben einen gesundem Körper vielleicht. Man kann einfach alles daraus machen und es eröffnen sich einem Möglichkeiten die andere Leute nicht haben.
Ja, aber wenn man einen IQ von z.B. 130 hat wird man da denke ich praktisch sehr viel mehr drauss machen können als aus einem IQ von z.B. 70.
Ich denke bei einem IQ von 70 kann man von einem Leben in der "gesellschaftlichen Mitte" nur träumen auch wenn man sich noch so bemüht, man kann höchstens versuchen seinen Platz am Rand der Gesellschaft zu finden und damit glücklich zu werden.
Mit einem IQ von 100 z.B. stehen einem einfach viel mehr Tore offen und man kann viel mehr draus machen. Man muss sich natürlich auch bemühen, aber man hat mindestens eine Chance.